Die Mindset-Falle

Viele Menschen suchen im Internet Unterstützung und Hilfe zur Selbstoptimierung bei Life-Coaches und spirituellen Beratern. Die Branche boomt, aufgrund der großen Nachfrage entstehen aber auch viele fragwürdige und bedenkliche Angebote.
Von PRO
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Früher oder später stößt man beim Surfen auf sie: Sie versprechen Erfolg, Glück, Heilung und Selbstoptimierung. Spirituelle Coaches, Motivationstrainer oder „Sinn-Fluencer“. Ihre Aufforderungen wie „Erwecke deine innere Kraft“ oder „Du bist so viel machtvoller, als du ahnst“, scheinen viele Menschen anzusprechen.

Einer Schätzung zufolge gibt es zwischen 30.00 und 40.000 Coaches in Deutschland. Coaching „boomt und nimmt zu“, sagt Sarah Pohl im Interview der „Zeit“. Sie sieht die Gründe dafür in einer Gesellschaft, die sich ständig optimieren will. Pohl arbeitet als Leiterin der Zentralen Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen Baden-Württemberg (ZEBRA) in Freiburg.

Die Berufsbezeichnung Coach ist nicht geschützt. Neben gut ausgebildeten seriösen Coaches gibt es auch viele selbst ernannte Trainer oder Life-Coaches, die auf geschickte und ansprechende Weise suchende Menschen auf Social-Media-Kanälen und durch Podcasts erreichen. Die Botschaft ist bei allen gleich: Du kannst alles kreieren, alles ist möglich. Es kommt auf dein Mindset an. Da ist die Rede von spirituellem Wachstum, von Heilung, von der Kraft der Vergebung.

Foto: Instagram;lauramalinaseiler/Screenshot PRO
Laura Malina Seiler auf ihrer Instagram-Seite

Zum Beispiel Laura Malina Seiler. Sie nennt sich „spiritueller Coach“ und „Visionärin“ und gilt als Superstar der spirituellen Coachingszene in Deutschland. Sie postet ihre Erkenntnisse auf Instagram, schreibt einen Blog und ist auf Youtube vertreten. In einem Video verrät sie das „Geheimnis für spirituelles Wachstum“: Es sei das Bauchgefühl, die Intuition, die innere Weisheit. „Der Urinstinkt verlinkt mich mit dem Wissen meiner Seele.“ Und weil es viele Gründe gibt, warum wir nicht auf die Intuition hören und sie nicht fühlen, benötigen wir Hilfe. Die 37-Jährige ist auf vielen Kanälen aktiv.

Zusätzlich gibt sie ein Hochglanzmagazin heraus mit dem Titel „I am“ (by Laura Malina Seiler). Die langhaarige, schlanke Herausgeberin ist bei jeder Ausgabe auf dem Cover zu sehen. Das Magazin beschäftigt sich auf 148 Seiten mit persönlicher und spiritueller Weiterentwicklung. „Energie, Schöpferkraft, Vergebung, Transformation“ – eine Mixtur esoterisch-religiöser Begriffe durchzieht die Ausgabe. „Weltanschaulich ist das Magazin in der Gebrauchs-Esoterik zu verorten. Leider fehlen jegliche Bezüge zu den klassischen Meditationstraditionen“, schreibt der Professor Michael Utsch in „Psychologie & Seelsorge“. Er ist wissenschaftlicher Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin.

Erfolg

Aber es geht nicht nur um persönliche Weiterentwicklung, sondern auch um Erfolg: Im Werbevideo auf Youtube erklärt ein mittelalter Mann im weißen Hemd, wie er einem helfen kann, sich zu verändern, mehr Lebensfreude und Erfolg im Leben zu haben. Er nennt sich „Erfolgsmacher“ und „Lifecoach“. Sein Motto: „Erfolg ist für jeden machbar. Denn Veränderung geht blitzschnell, wenn du weißt wie!“ Er verspricht mir, dass ich nach nur einer Woche den Grundstein für Erfolg, Liebe und Erfüllung legen und meine Ziele wahr werden lassen kann. Dass ich Ängste, Selbstzweifel, sabotierende Glaubenssätze und Abhängigkeiten mit Leichtigkeit überwinden kann und mein Leben frei von Ängsten und Sorgen wird.

Sein Name ist an dieser Stelle unwichtig, denn im Netz gibt es viele dieser Männer und Frauen, die dort angeblich ihre eigene Erfolgsgeschichte teilen. Die „ganz unten waren“ und nun allen „das Geheimnis ihres Erfolgs“ verraten.

Der Mann im weißen Hemd ist nicht nur online aktiv, sondern veranstaltet zweitägige Events, zu denen Tausende Menschen strömen und dafür viel Geld bezahlen. Das Setting erinnert entfernt an christliche Großveranstaltungen: erwartungsvolle Besucher, viel Musik, berührende Lebensgeschichten. Journalisten vom WDR und ZDF haben die Veranstaltungen besucht und auch mit einigen Besuchern gesprochen. Viele sagten, dass ihnen die Seminare oder Coachingkurse geholfen hätten. Immer wieder sprechen Menschen davon, dass sie nun „in sich selbst investieren“.

Foto: Marketing – Jürgen Höller Academy | CC BY-SA 4.0 International
Jürgen Höller ist einer der bekanntesten deutschen Motivationstrainer

Investieren ist das Stichwort. In den Sendungen des WDR und ZDF berichten Teilnehmer, dass sie Tausende Euro investiert haben. Und die Selbstoptimierungsspirale dreht sich immer weiter: Wenn sie ein Seminar absolviert hätten, wurde am Ende eines Kurses oder Seminars direkt das Fortsetzungsseminar beworben, erzählten Teilnehmer. 

Um das alles zu finanzieren, absolvieren viele selbst eine Coachingausbildung. Dahinter steckt oft die Hoffnung, anderen von ihren Erfahrungen zu erzählen und nicht zuletzt, das investierte Geld wieder hereinzuholen. Coaching als Businessmodell.

Alles eine Frage des richtigen Mindsets?

In einem Punkt sind sich alle einig: Man muss das richtige Mindset haben, dann gelingt das glückliche Leben. Das Mindset setzt sich zusammen aus der Denkweise, Einstellung, Annahmen, aber auch Erinnerungen, Erfahrungen und Überzeugungen und Werten. Hinter der Theorie des „richtigen Mindsets“ steckt die Idee, man können alles durch die richtige Einstellung verändern und lösen.

Gesellschaftliche und private Rahmenbedingungen, körperliche Beeinträchtigungen oder schwierige Lebenslagen werden bei einem solchen Weltbild ausgeblendet. Generell geht es nur um das eigene Selbst, das persönliche Glück – Gemeinschaftserlebnisse oder Verantwortung in der Gesellschaft sucht man vergeblich.

Aber nicht alles lässt sich durch den eigenen Willen lösen. Es gibt Umstände und Entwicklungen, die wir nicht beeinflussen können, mit denen wir aber trotzdem einen Umgang finden müssen. Viele der schön klingenden Sprüche taugen dafür nicht.

Fragen, die man zu Beginn eines Coachings stellen sollte:

Welche Voraussetzungen und Befähigungen hat der von mir gewählte Ansprechpartner?

Wo hat er seine Qualifikation erworben?

Wie ist er geistlich und theologisch einzuordnen?

Passt das zu meiner Prägung? Oder kann er sich in geistlicher Hinsicht neutral zu meinen Fragen stellen?

Bin ich bereit, für die Unterstützung zu bezahlen? Sind die Kosten angemessen, das heißt, passt die Qualifikation zum Preis?

Life-Coaching hat in den letzten Jahren zu vielen Anfragen bei Beratungsstellen für Weltanschauungsfragen geführt. „Die Nachfrage nach Life-Coaching-Angeboten belegt, dass persönliche Lebenshilfe immer weniger in familiären und freundschaftlichen Netzwerken gesucht wird. Die Kirchen haben längst kein Copyright auf Seelsorge mehr, viel populärer sind esoterische und asiatische Weisheiten. Leider fehlt bei den allermeisten Life-Coaches die professionelle Einbindung in einen Dachverband und ein Klientenschutz durch Ethikrichtlinien“, schreibt Michael Utsch.

Sarah Pohl sagt, sie erlebe häufig, „wie Berater eine Selbstüberschätzung an den Tag legen, wenn sie sagen, sie könnten mit jedem Menschen arbeiten und jeder Person helfen, ohne eine Ausbildung zu haben“.

Coaching kann keine Therapie ersetzen, manche Techniken können sogar gefährlich werden: „Bei manchen stark emotionalisierenden Techniken können bei sensiblen Personen Traumata und Psychosen ausgelöst werden“, so der Psychologe Siegfried Greif in der „Zeit“.

Psychische Erkrankungen, die nicht erkannt und nicht richtig behandelt werden, können sich erheblich verschlimmern, da sind sich Experten einig. Menschen in psychisch schwierigen Phasen sollten sich an qualifizierte Therapeuten oder Fachärzte wenden.

Wer Hilfe und Unterstützung sucht, sollte also genau hinschauen. Beispielsweise ist es hilfreich, nachzufragen, welche Qualifikation ein Coach hat. Wo er oder sie die Ausbildung gemacht hat.

Diese Netzwerke können auf der Suche nach einem ausgebildeten christlichen Coach, Berater, Mentor oder Seelsorger hilfreich sein:

Es gibt gut ausgebildete Therapeuten, Mentoren und Coaches, die in festgefahrenen Situationen unterstützen und helfen können, den Weg zu finden. Qualifizierte Therapeuten werden auch erkennen, wenn eine Situation oder psychische Krankheit eine weitergehende Therapie benötigt.

Die Sehnsucht nach erfülltem Leben ist stark – hier könnten Christen so viel mehr anbieten, auf Gott, den Schöpfer hinweisen, der weiß, wie wir wirklich Frieden, Freude und Glück finden. Dafür müsste man „nur“ die richtigen Wege finden.

Von: Ellen Nieswiodek

Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 3/2024 von PRO – das christliche Medienmagazin. Sie können das Heft hier kostenlos bestellen.

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