Filmkritik

Trauma: Kindheit in der Freikirche

Die Filmemacherin Rebecca Hirneise wuchs in einer streng gläubigen Familie von Methodisten auf. Doch sie kehrte dem Glauben irgendwann den Rücken. Jahre später traf sie Mitglieder ihrer Familie wieder – und interviewte sie für ihren Dokumentarfilm.
Von Jörn Schumacher
Zwischen uns Gott

Dieser Film ist interessant und anstrengend zugleich. Zum einen begibt sich hier eine junge Filmemacherin, die sich heute als Agnostikerin bezeichnet, auf die Spuren ihrer streng religiösen Familie im Schwabenland. Sie interviewte Onkel, Tanten und ihre Mutter in ihrem Heimatort, allesamt sind sie, wie die Filmemacherin selbst, sehr geprägt vom christlichen Glauben. Er sei in der Familie alles bestimmend gewesen. Inzwischen haben sich diese erwachsenen Menschen ihr eigenes, individuelles Bild vom Christsein gemacht. Das ist interessant. Denn die Interviewerin ist hier nicht die neutrale Beobachterin, die mehr wissen will über den Glauben von Freikirchen-Christen. Sie selbst ist Teil des Ganzen und sie will ihre Gegenüber damit konfrontieren, dass sie selbst ganz sicher nicht mehr gläubig ist. Das ist anstrengend.

Rebecca Hirneise ist Filmemacherin und ausgebildete Fotografin, sie wurde im schwäbischen Mühlacker geboren. Sie studierte Medienkunst in Karlsruhe, dann Drehbuch und Regie an der Filmakademie in Wien, wo sie als Regisseurin und Producerin arbeitet. Vom Glauben der methodistischen Freikirche ihrer Kindheit und Jugend hat sie sich inzwischen distanziert. Ihr Dokumentarfilm „Zwischen uns Gott“ lief im Januar 2024 auf dem Filmfestival „Max Ophüls Preis“ in Saarbrücken und wurde beim Internationalen Dokumentarfilmfestival München sowie in Polen auf dem Filmfestival „Millennium Docs Against Gravity“ gezeigt. Ob und wann darüber hinaus Aufführungen oder Ausstrahlungen geplant sind, ist noch unbekannt.

„Wenn jemand von Jesus gesprochen hat, habe ich zugemacht“

Im Jahr 2018 besuchte Hirneise für mehrere Tage ihre alte Heimat und brachte für ihren Dokumentarfilm Familienmitglieder zu gemeinsamen Gesprächsrunden sowie Einzelinterviews zusammen. „Es wurde mir als Jugendliche und als junge Erwachsene alles etwas zu viel“, sagte die Filmemacherin in einem Interview mit dem Saarländischen Rundfunk zum Glauben in dieser Familie. „Wenn jemand von Gott oder Jesus gesprochen hat, habe ich zugemacht und nicht mehr zugehört.“

Hirneises Mutter Birgit distanzierte sich ebenfalls vom radikalen Glauben der Familie. Auch sie ist Teil der Diskussionsrunden. Doch auch sie hat schnell genug von der frommen Runde, viele Statements ihrer Geschwister hält sie nicht aus. Als Onkel Reinhold etwa davon spricht, dass Atheisten die Welt im Grunde egal sei, und nur ein gläubiger Mensch die Schöpfung wirklich bewahren könnte, komme ihr „eine Wut“, wie sie sagt. Auch dass Schwager Hartmut alles und jeden „gesundbeten“ wolle und demzufolge eigentlich niemand mehr Krankenhäuser und Ärzte bräuchte, geht ihr gegen den Strich. Sie stört sich daran, wenn gläubige Menschen ihren Glauben anderen aufdrücken wollen, sagt sie. „Das haben unsere Eltern im Prinzip gemacht. Nämlich: ‚Unseren Glauben müsst ihr auch glauben‘.“ Es habe kein anderes Gesprächsthema als den Glauben in der Familie gegeben, sagt Hirneises Mutter. Daher reagiere sie auch auf die „Sprüche“ von Reinhold allergisch. „Ich bekomme das Jesus-Gerede nicht mehr aus dem Kopf.“

Auch ihre eigene Ehescheidung habe zur Distanzierung beigetragen, denn die Großmutter habe immer deutlich gemacht, dass sie warten müsse, bis ihr Mann wieder zu ihr zurückkommt. Ansonsten müsse sie sich „voll und ganz“ der Gemeinde widmen. Eine neue Partnerschaft sei nicht möglich gewesen. Als sie ein Foto von sich an der Wand hängen hatten, auf dem sie geschminkt war, habe ihr Mutter zu ihrer Tochter gesagt: „Du bist nicht mehr mein Fleisch und Blut!“ Dass so viel religiöser Druck Menschenseelen schadet, ist nachvollziehbar.

Drohung bei Nicht-Bekehren

Hirneise selbst betont im Off immer wieder, dass sie nicht gläubig sei, sie sagt es aber auch in den Interviews. Das führt in den Gesprächen mitunter zu Endlosschleifen, denn wo sich die Diskutanten im normalen Leben vielleicht irgendwann die Hände reichen und feststellen würden, dass man offensichtlich unterschiedliche Glaubensansichten hat, bohren hier beide Seiten aus unterschiedlicher Motivation weiter. Sie habe ihre Familienmitglieder treffen wollen, nicht um gläubig zu werden, „sondern um ihnen näherzukommen“, sagt die Filmemacherin. Nun gut, das hätte sie auch ohne laufende Kamera tun können. Offenbar gab es mindestens noch den weiteren Grund, einen Dokumentarfilm zu drehen. Und dafür will sie offenbar den Dissens provozieren.

Dann ist da noch Onkel Hartmut, der in eine charismatische Gemeinde geht und von der Heilung körperlicher Gebrechen durch Gebet überzeugt ist und diese selbst regelmäßig durchführt. Er berichtet von wundersamen Verlängerungen von falsch gewachsenen Extremitäten und anderem. Hirneise stellt sich stur – das könne sie nicht glauben. Auch hier prallen zwei Weltsichten aufeinander, die man wahrscheinlich auch gut stehen lassen könnte – wäre da nicht die Verflochtenheit (und ablehnende Haltung) der Regisseurin in den Inhalt ihres Films.

Dass in dieser Familie offensichtlich eine große Unfreiheit in Sachen christlicher Glaube herrschte, wird aus den Interviews überdeutlich. Tante Evmarie kommen die Tränen, als sie davon berichtet, dass ihr „die schönsten Jahre ihres Lebens“ wie gestohlen vorkommen. Sie habe in keinen Verein gehen dürfen, Tanzkurse seien verboten gewesen. „Manchmal denke ich: Es ist eine verlorene Zeit.“ Bei Tante Conny ist es nicht anders. „Tanzen war weltlich. Ins Kino durften wir auch nicht gehen.“

Hirneise selbst stellt fest, dass die Stimmung ihrer Großeltern stets „ernst und bedrückt“ gewesen sei. Ihre Großmutter habe eines Tages von der methodistischen in die protestantische Kirche wechseln wollen, woraufhin der Großvater aufhörte, Nahrung zu sich zu nehmen. Sie berichtet zudem aus ihrer Jugendzeit: In einem Gottesdienst sollten alle Anwesende der Reihe nach laut beten. Sie lehnte ab. Daraufhin wurde ihr nahegelegt, dem Teufel abzusagen. Sie berichtet ferner von Drohungen, die eine Freundin ihr gegenüber aussprach, wenn sie sich nicht endlich bekehre.

Dennoch ist Gott aus dem Leben der Filmemacherin vielleicht doch noch nicht so ganz verschwunden. An einer Stelle mutmaßt sie: „Wenn es einen Gott gibt, wird er mich finden.“ An anderer Stelle sagt sie: „Ich selbst habe nie an Gott glauben können“, nur um – logisch nicht ganz stringent, aber doch nachvollziehbar – den Satz hinzuzufügen: „Ich mag Gott nicht.“ Gott ist in diesem Film nicht nicht-existent. Das zeigt schon der Titel: Gott ist nicht tot oder weg, sondern „zwischen uns“.

„Zwischen uns Gott“, Dokumentarfilm, Regie: Rebecca Hirneise, 90 Minuten.

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