Rezension

Christen sollten aus kirchlichen Bindungen zurückgedrängt werden

Kirche und christlicher Glaube haben das Leben vieler DDR-Bürger geprägt - und massiv eingeschränkt. Das zeigt die Lektüre des Buches „Herzen ohne Mauer“. Die Lebensbilder gehen unter die Haut und bieten ganz nebenbei noch Geschichtsunterricht.
Von Johannes Blöcher-Weil
Viola Ramsden hat anhand von neun Lebensbildern ein Buch über das Christsein in der DDR geschrieben

Es ist unglaublich, wie intensiv die DDR ihre Bevölkerung bevormundet, gegängelt und schikaniert hat. Wie sehr darunter Christen gelitten haben, zeigt das Buch „Herzen ohne Mauer“, das bei SCM Hänssler erschienen ist.

Das Buch von Viola Ramsden beschreibt, wie DDR-Bürger ihr Christsein in einer Diktatur erlebt und gelebt haben und wo Grenzen und Chancen waren. Der Autorin ist es wichtig, dass die Gemeinden heute einiges aus dieser Zeit lernen können. Immerhin hätten die Menschen mit viel Gottvertrauen, Opferbereitschaft und Feuer im Herzen in die Gesellschaft gewirkt.

Für ihr Vorhaben hat die Autorin mit Zeitzeugen aus unterschiedlichen Altersgruppen gesprochen, um ein möglichst vollständiges Bild nachzuzeichnen. Dazu ist Ramsden ganz tief in das Leben der Menschen eingetaucht. Bei vielen von ihnen haben die Eltern die Basis für den christlichen Glauben gelegt – und damit oft dafür gesorgt, dass die Kinder Außenseiter waren.

Rigoros unter ideologischen Gesichtspunkten ausgesiebt

Viele junge Christen in der einstigen DDR haben in den Jugendgruppen nicht nur Spaß, sondern auch geistlichen Tiefgang erlebt, der die Gängelungen erträglich gemacht hat. Auch wenn es die klare Strategie der SED war, Menschen aus ihren traditionellen kirchlichen Bindungen herauszudrücken. Und damit hat die Partei bereits in frühen Jahren und vor allem bei Christen begonnen.

Trotzdem boten die Angebote emotionalen Halt, eine sinnvolle Beschäftigung und spirituelle Orientierung. Mitglieder der Jungen Gemeinde entwickelten oft eine ganz besondere Form des Zusammenhalts. Wer das Buch liest, blickt noch einmal ganz anders auf die Biografien und die Brüche, die die Wiedervereinigung hinterlassen hat. Deswegen scheint es umso wichtiger, ostdeutsche Biografien sichtbar zu machen.

Die Protagonisten erzählen offen und ehrlich, wie ungerecht sie das sozialistische System erlebt haben. Vielen hat ihr Glaube die Kraft gegeben, unangenehme Entscheidungen zu treffen und Sichtweisen zu vertreten, die nicht der Meinung der SED im Arbeiter- und Bauernstaat entsprachen. Die Gespräche zeigen, dass besonders junge Christen verunsichert werden sollten. Wo der Glaube nicht fest genug war, verfing diese Strategie.

Wer geistliches Wachstum förderte, wurde kritisch beäugt

Wer in der DDR für seinen christlichen Glauben einstand, tat dies bewusst. Das zeigt auch die Geschichte von Ernst und Brigitte Richter, die schon die Anfänge der DDR erlebten. Dem Pfarrer ging es vor allem darum, geistliches Wachstum zu fördern. Dafür sei er kritisch beäugt worden. Denn wer in der DDR versuchte, mit jungen Leute über das Thema zu sprechen, wurde als kriminell eingestuft.

Der Berliner Pfarrer Joram Luttenberger beschreibt seine Zeit als gläubiger Jugendlicher in der DDR so: Als Christ in der DDR sei es wichtig gewesen, positiv wachsam zu sein „und mir gut zu überlegen, was ich sage, ohne doppelzüngig zu werden“. In der DDR hätten liberale und pietistische Christen gut zusammengearbeitet, weil es notwendig gewesen sei. Er fragt sogar, ob man sich das Gegeneinander heute noch leisten könne.

Spannend wird es auch im Bericht von Anne über ihr Glaubensleben. Beim Fall der Mauer war sie vierzehn Jahre alt und hatte nach eigener Aussage niemanden, der sich um sie kümmerte. Sie sei in einer „Generation der Unberatenen“ groß geworden und habe alle schwierigen Fragen mit sich selbst ausgefochten. Im Raum der Kirche habe sie Schutz und Hoffnung erlebt – und keine herablassenden Äußerungen über Ostdeutsche.

Ein realistisches Bild der DDR vermitteln

Heute kämpft sie mit ihrem Mann dafür, ein realistisches Bild der DDR zu vermitteln. „Nur weil viele mehr oder weniger gut durch die DDR-Zeit gekommen sind, bedeutet das nicht, dass die DDR schon ganz okay war.“ Viele Menschen hätten in der Diktatur Ungerechtigkeit und Leid erfahren. Das gehöre zur Wahrheit dazu.

Auch Uwe Heimowski kommt in dem Buch zu Wort. Er ist kein Ostdeutscher, aber durch seine Biografie eng mit den unterschiedlichen Regionen in der ehemaligen DDR verbunden. Aus seiner Zeit als Pastor weiß er, wie viele Menschen Frust und Werteverlust erlebt haben. Es gebe viele Erfahrungen und Entwicklungen, die den Menschen heute noch weh tun. Er wünscht sich deswegen, dass Christen ihren Beitrag leisten, die Wunden zu heilen und sich nicht in ihre Binnenräume und Nischen zurückziehen.

Ein Nachwende-Kind ist die Gemeindepädagogin Christiane, die im Sommer 1989 in Leipzig geboren ist. Sie freut sich im Rückblick, dass Gott Dinge ermöglicht hat, die aus menschlicher Sicht nicht so leicht möglich waren. Die Gebete und die Demonstrationen im kirchlichen Umfeld hätten dabei geholfen, die Wiedervereinigung zu ermöglichen.

Von Arbeitslosigkeit und Entwertung

Bei der Lektüre bleibt ganz besonders hängen, wie viel es Menschen in der DDR gekostet hat, ihr Christsein zu leben. Auch die Wiedervereinigung war für viele eine große, negativ besetzte Zäsur, die zur Arbeitslosigkeit und biografischen Entwertung führte.

Deswegen ist das Buch von Viola Ramsden so wertvoll. Hier beschreiben Menschen ihre Erfahrungen und Erinnerungen. Sie haben als Christen in einer Diktatur gelebt und sich nicht von Hindernissen entmutigen lassen. Das kann auch Christen heute Kraft geben.

In vielen Berichten wird deutlich, dass es das liebevolle Umfeld der Gemeinden war, das die Gängelung erträglich gemacht hat. Die Kirche hat Räume geboten, in dem sich Menschen verändern und neue Kraft schöpfen konnten. Ein Interviewpartner hat seine persönlichen Unterdrückung in der Gewissheit ertragen, dass „in Gottes Herrlichkeit so viel mehr auf uns wartet – auch wenn das jetzt noch nicht greifbar ist“.

Am Ende des Buches muss kann sich der Leser selbst die Frage stellen, ob er zu DDR-Zeit selbstbewusst zu seinem Glauben gestanden, oder dem Druck des Regimes auf die Christen im Land nachgegeben hätte.

Viola Ramsden, Herzen ohne Mauer: Wie Christen die DDR, die Friedliche Revolution und die Zeit danach erlebten, SCM Hänssler, 288 Seiten, 23 Euro, ISBN 9783775161350, Erscheint im September 2024

Helfen Sie PRO mit einer Spende
Bei PRO sind alle Artikel frei zugänglich und kostenlos - und das soll auch so bleiben. PRO finanziert sich durch freiwillige Spenden. Unterstützen Sie jetzt PRO mit Ihrer Spende.

Ihre Nachricht an die Redaktion

Sie haben Fragen, Kritik, Lob oder Anregungen? Dann schreiben Sie gerne eine Nachricht direkt an die PRO-Redaktion.

Offline, Inhalt evtl. nicht aktuell

PRO-App installieren
und nichts mehr verpassen

So geht's:

1.  Auf „Teilen“ tippen
2. „Zum Home-Bildschirm“ wählen