Gottesbild beeinflusst, wie nachhaltig Christen handeln

Wie Christen über den Klimawandel und Nachhaltigkeit denken, hat viel mit ihren persönlichen Glaubensansichten zu tun. Dabei spielt das Gottesbild eine größere Rolle als das Verständnis von der Bibel.
Von Jonathan Steinert
Nachhaltigkeit, Schöpfung

Menschen, für die der Glaube eine zentrale Rolle in der Lebensführung spielt, gelten in der Sozialforschung als hochreligiös. Und auch auf die Einstellung zu Fragen rund um ökologische Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit wirkt sich der persönliche Glaube aus. Wie genau, das hat jetzt ein Forscherteam von der CVJM-Hochschule Kassel um den Theologen Tobias Faix in einer umfangreichen Studie untersucht.

In einer Umfrage haben mehr als 2.500 religiöse und hochreligiöse Christen aus Deutschland und der Schweiz Fragen zu ihrem Glauben beantwortet. Außerdem haben sie angegeben, wie sie über Themen wie Armut, Klima und Umwelt denken und sich dazu verhalten. Die Ergebnisse wurden am Samstag auf einem Fachtag „Glaube. Klima. Hoffnung.“ in Kassel vorgestellt. Dabei zeigte sich, dass diese Themen für die meisten Befragten sehr wichtig sind. Allerdings ist das Bewusstsein für das Thema stärker ausgeprägt als das konkrete Verhalten.

Der Begriff der sozialen Gerechtigkeit umfasst die Frage nach der gerechten Verteilung verschiedener Möglichkeiten und Güter in einer Gesellschaft. Dies beinhaltet den Ausgleich bestehender Ungleichheiten. Wie diese aber inhaltlich gefüllt werden, ist je nach Gerechtigkeitsverständnis sehr unterschiedlich.

Nachhaltigkeit beschreibt das Prinzip, dass zukünftige Generationen die gleiche Möglichkeit zum Leben auf der Erde und zur Bedürfnisbefriedigung haben müssen wie aktuelle Generationen. Damit geht die Verantwortung einher, diese Möglichkeit zu schaffen. Nachhaltigkeit umfasst immer die Dimensionen der Ökologie, der Ökonomie und des Sozialen. In dieser Studie liegt der Fokus aber auf der ökologischen Dimension.

Nach Tobias Faix/Ronja Dietrich/Anna-Lena Moselewski: „Glaube. Klima. Hoffnung. Forschungsbericht der Ge-Na-Studie“

In Bezug auf soziale Gerechtigkeit zeigt sich dieses vor allem darin, dass die Befragten mit Familie und Freunden darüber sprechen, beim Einkaufen auf bestimmte Produkte verzichten oder für Hilfsorganisationen spenden.

„Das Engagement ist in erster Linie auf den individuellen, privaten Bereich beschränkt“, erklärte Studienleiter Faix. Je stärker es einen gesellschaftlichen und öffentlichen Charakter habe, nehme das Engagement bei diesen Themen ab. Bei Hochreligiösen sei dieser Unterschied stärker ausgeprägt als bei Religiösen. Allerdings sei das kein Phänomen von Christen, sondern in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Forscher sprechen von der Lücke zwischen Wissen und Handeln, dem Knowledge-Action-Gap.

Theologische Begründung von Nachhaltigkeit ist Christen wichtig

Mit Aussagen etwa zur Mülltrennung, zum Wassersparen, zum Einkaufsverhalten oder zu genutzten Verkehrsmitteln maßen die Forscher, wie nachhaltig die Befragten handelten. Dieses Verhalten hängt auch damit zusammen, welche Vorstellung die Befragten von Gott haben: Wer eher an einen strengen, kontrollierenden Gott glaubt, verhält sich weniger umweltbewusst und macht sich auch weniger Sorgen wegen des Klimawandels. Womöglich weil mit diesem Gottesbild ein stärkerer Fokus auf geistliche Themen einhergehe, so ein Erklärungsansatz Faix’.

Auch die theologischen Ansichten vom Beginn und vom Ende der Welt beeinflussen, wie nachhaltig sich Christen verhalten. Dass sich der Einsatz für Nachhaltigkeit nicht lohne, weil Gott einst eine neue Welt schaffen werde, lehnen 90 Prozent der Befragten zwar ab. Allerdings verhalten sich Christen weniger nachhaltig, je stärker sie an eine Neuschöpfung glauben. Fast die Hälfte der Befragten bezeichnet nicht nachhaltiges Verhalten als Sünde.

Insgesamt stellten die Forscher eine positive Grundeinstellung zur Natur fest. Viele der Befragten fühlen sich Gott dort nahe. Sie halten sie für schützenswert, weil Gott sie geschaffen hat und weil ein biblischer Auftrag darin liegt. Etwa ein Drittel bis die Hälfte kritisieren, Naturschützer würden eher die Natur vergöttern als den Schöpfer ehren.

Für die Forscher sind das Hinweise darauf, dass es Christen wichtig ist, Nachhaltigkeit theologisch zu begründen und in die eigene Spiritualität zu integrieren. Dass Nachhaltigkeit ein zentraleres Anliegen im christlichen Glauben sein sollte, als es das bislang ist, finden zwei von drei Befragten aus Deutschland.

Über Stellenwert von Evangelisation uneins

Soziale Gerechtigkeit halten in Deutschland 38 Prozent der Befragten für ein zentrales Anliegen des christlichen Glaubens. Mehr als die Hälfte findet, es sollte eine noch zentralere Rolle spielen. Die Forscher wollten außerdem wissen, was den Christen wichtiger ist: sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen oder das Evangelium weiterzusagen. Knapp die Hälfte der Befragten zieht die Verkündigung der Diakonie vor – Freikirchler stärker als Kirchenmitglieder, Hochreligiöse eher als Religiöse.

Allerdings sah das Bild anders aus, als die Forscher nach der Bedeutung von verschiedenen Wegen christlicher Mission fragten. Denn hier lagen der liebevolle Dienst an notleidenden Menschen, die Bewahrung der Schöpfung und der Einsatz gegen ungerechte Strukturen deutlich vor Lehre und Verkündigung. Die Forscher sehen damit das Vorurteil widerlegt, dass sozial-diakonisches Handeln für Christen eine untergeordnete Rolle spiele.

Dass Religiöse und Hochreligiöse bei diesen Fragen unterschiedliche Prioritäten setzen, zeigt für die Forscher: Nicht an der Bedeutung der diakonischen Tat scheiden sich die Christen, sondern am Stellenwert der Evangelisation. Beim Bibelverständnis gibt es einen solchen Effekt – entgegen der Annahme – nicht: Wer die Bibel wörtlich nimmt, fühlt sich nicht weniger als andere Christen durch den Glauben ermutigt, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Bedeutende Unterschiede zwischen den Generationen konnten die Forscher kaum ausmachen. Soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit sind den Christen unabhängig vom Alter ähnlich wichtig. Weder machten sich jüngere Christen mehr Sorgen wegen des Klimawandels als ältere, noch orientierten sie ihr Handeln stärker an den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen.

Nachhaltigkeit polarisiert Christen nicht

Die Studienautoren ziehen aus den Ergebnissen den Schluss, dass die christliche Welt in Fragen der ökologischen Nachhaltigkeit und sozialen Gerechtigkeit weniger gespalten ist, als erwartet. Innerhalb dieser großen Themenfelder gebe es aber einzelne sogenannte Triggerpunkte, erklärte Studienleiter Faix – also spezifische Fragen, bei denen Ansichten unter Christen, vor allem zwischen Religiösen und Hochreligiösen wie auch zwischen Frei- und Landeskirchlern, auseinandergehen. „Diese Triggerpunkte sollten wir ernst nehmen und auch darüber diskutieren. Aber wir müssen sie im Lichte der Gesamtergebnisse sehen und sollten uns nicht allein darauf fokussieren.“

Tobias Faix Foto: privat
Tobias Faix ist Professor für Praktische Theologie und Rektor der CVJM-Hochschule in Kassel. Er leitet dort das Forschungsinstitut „empirica“ und hat mit seinem Team untersucht, wie Christen über Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit denken.

Faix resümierte, dass der christliche Glaube im Umgang mit sozialer Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit durchaus einen Unterschied mache. Nämlich dann, wenn Christen diese Themen theologisch begründen und mit ihrem Glaubensleben verbinden können. Darin liege eine Chance für Gemeinden, Christen noch stärker dazu zu ermutigen, sich für Zusammenhalt und gegen die Klimakrise einzusetzen.

Weitere Erkenntnisse aus der Studie:

  • Christen gehen stärker als der Durchschnitt der Bevölkerung davon aus, dass es etwas bringt, sich gesellschaftlich zu engagieren. Die Mehrheit der Christen fühlt sich durch den Glauben dazu ermutigt – Hochreligiöse noch stärker als Religiöse.
  • Hochwertige Bildung, kein Hunger, sauberes Wasser, Klimaschutz und Frieden sind für die Befragten die fünf wichtigsten von den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen. Bei Religiösen und Hochreligiösen variiert die Reihenfolge dieser fünf Ziele, weitere Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen ließen sich bei dieser Gewichtung aber nicht ausmachen. Die befragten Christen in der Schweiz kennen die Nachhaltigkeitsziele besser als die Durchschnittsbevölkerung.
  • Etwa zwei von drei Befragten in Deutschland gaben an, dass sich ihre Gemeinde aktiv für Menschen einsetzt, die von Ungerechtigkeit betroffen sind – dabei häufiger für Menschen in anderen Ländern als im eigenen. In Predigten, Gottesdiensten und persönlichen Gesprächen kommen soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit am häufigsten in den Gemeinden vor. In evangelischen Kirchen spielt Nachhaltigkeit eine größere Rolle als in Freikirchen.

Die „Ge-Na“-Studie

Für die Studie „Glaube. Klima. Hoffnung. Was Christinnen und Christen über Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit denken.“ („Ge-Na“ – Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit) haben mehr als 2.500 Christen ab 14 Jahren aus Deutschland und der Schweiz zwischen November 2022 und April 2023 an einer Online-Befragung teilgenommen. Anhand von bereits in anderen Studien erprobten Fragen zur Intensität und Praxis ihres Glaubens wurden sie in Religiöse und Hochreligiöse eingestuft. In Deutschland lag der Anteil der Hochreligiösen bei drei Vierteln. In der Schweiz war er noch höher. 56 Prozent der deutschen Befragten gehörte einer evangelischen Landeskirche an, knapp ein Drittel einer Freikirche. In einer qualitativen Vorstudie wurden zwölf Personen in Leitfrageninterviews befragt.

Beauftragt und finanziell gefördert hat die Studie „Interaction“, ein Dachverband von christlichen Organisationen aus der Schweiz, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe befassen. Auch weitere Organisationen haben die Studie mitfinanziert, darunter „World Vision“, „Brot für die Welt“ und der CVJM Deutschland. Ebenfalls zu den Kooperationspartnern gehört die Evangelische Kirche in Kurhessen und Waldeck.

Hier gibt es die Studie zum Download: ge-na-studie.net

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