„Für mich ist Pilatus ein Zerrissener“

Francis Fulton-Smith spielt bei der „Passion“ Pontius Pilatus. Im Interview mit PRO erklärt er, was für ihn Glaube und Spiritualität bedeuten und was das Spielen biblischer Figuren besonders herausfordernd macht.
Von Swanhild Brenneke

PRO: Was waren Ihre Gedanken, als Sie für Pontius Pilatus in „Die Passion“ angefragt wurden? Was bedeutet es Ihnen, dabei mitzuwirken?
Francis Fulton-Smith: Sich mit den großen Weltreligionen zu befassen, ist immer spannend, denn unsere Gesellschaften basieren zu einem großen Teil auf ihnen. Manchmal ähneln sie sich sogar im grundsätzlichen Tenor. Ich habe ja bereits in der erfolgreichen TV-Serie „Ihr Auftrag, Pater Castell“ den Sonderbeauftragten des Vatikans gespielt. Das war zur Zeit von Papst Benedikt XVI. Somit bin ich durchaus ein klein wenig mit kirchlichen Themen vertraut. Die Entstehung des Christentums und die Kreuzigung Jesu sind für die westliche Welt sicher mit die berühmtesten Ereignisse in deren Entwicklung. In der „Passion“ als Pontius Pilatus mitspielen zu dürfen, ist für mich daher eine große Ehre und künstlerische Herausforderung.

Wie haben Sie sich auf die Rolle des Pontius Pilatus vorbereitet?
Zum einen habe ich so viel als möglich im Netz recherchiert. Was mich immer an meinen Rollen interessiert, ist die menschliche Komponente der Figur. Die Grauzonen, die Abgründe, die Hoffnungen und Ängste, die meine Figuren durchleben. Kein Mensch ist nur gut oder nur böse. Das wäre ja geradezu langweilig! Das stört mich übrigens auch heute oft an der ambivalenten gesellschaftlichen Diskussion selbsternannter Moralapostel! Es gibt nicht nur schwarz und weiß, richtig und falsch! Alles hängt mit allem zusammen. Wir wissen heute, dass Pilatus für das Römische Reich und den Kaiser arbeitete. Gleichzeitig lag er wohl im Clinch mit Rom und musste sich dringend profilieren. Daraus entsteht eine spannende Konfliktsituation und Gratwanderung, die mich an der Figur des Pontius Pilatus reizt.

Hat die Vorbereitung auf die Rolle Ihren Zugang zur Religion oder Ihr Verständnis vom christlichen Glauben in irgendeiner Weise verändert?
Religion und Glaube sind sehr intime und private Angelegenheiten. Das ist auch gut so! Ich persönlich bin ein Freund der Säkularisation. Deshalb ist es in meinen Augen wichtig, einerseits Staat und Kirche zu trennen, andererseits jedoch auch zwischen Religion und Kirche zu differenzieren. Was besagt die Religion, und wie wird diese von ihren Vertretern ausgelegt? Weshalb wurden die vier bekannten Evangelien des Markus, Matthäus, Lukas und Johannes erst ca. 70-100 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben? Was hat es mit dem fünften Evangelium des Thomas auf sich? Weshalb taucht es nicht im Neuen Testament auf? Was wurde in Nag Hammadi (eine Sammlung frühchristlicher Texte, die 1945 in der Nähe des ägyptischen Ortes Nag Hammadi gefunden wurden, Anm. d. Red.)?

Und gerade heute scheint mir auch die Frage, ob und inwiefern Maria Magdalena als „Lieblingsjüngerin“ und „Stellvertreterin“ Jesu zu sehen ist, unglaublich spannend. Was geschah während des Konzils von Nicäa? Weshalb heißt es: römisch-katholisch? Das sind für mich sehr interessante Themen.

„Pontius Pilatus lag wohl im Clinch mit Rom und musste sich dringend profilieren. Daraus entsteht eine spannende Konfliktsituation und Gratwanderung.“

Ist so eine „biblische Figur“ zu spielen, eine besondere Herausforderung? Unterscheidet sich das von anderen Filmrollen?
Eine sehr gute und wichtige Frage! Es besteht immer eine große Herausforderung darin, historische Figuren zu spielen, da jeder Mensch meistens eine klare Haltung zu ihnen hat, eine Meinung, ein Vorurteil. Nehmen wir reale Menschen wie zum Beispiel Hitler, John F. Kennedy, oder Franz Josef Strauß. Wir kennen ihre Taten und wofür sie stehen. Es ziemt sich also, eine gewisse recherchierte Genauigkeit an den Tag zu legen. Hingegen Fantasie-Figuren wie Winnetou, Pinocchio und Pumuckl sind vollkommen frei erfunden. Wir stellen sie uns so oder anders vor und sind deshalb völlig frei in der Interpretation.

Biblische Figuren wiederum wie Jesus, Gott oder der Heilige Geist entstehen hingegen in uns selbst. In unserem Herzen und im Glauben. Die besondere Herausforderung besteht darin, nicht die Ästhetik und das Gefühl der Gläubigen zu verletzen! Die Glaubwürdigkeit der Darstellung entsteht allein durch die Wahrhaftigkeit des Schauspielers oder der Schauspielerin. Das ist die Magie, der Blütenstaub, das Wunder und auch eine sehr große Verantwortung.

Pontius Pilatus ist bei den meisten wohl keine besonders beliebte Figur. Immerhin hat er Jesus zum Tod verurteilt. Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Pontius Pilatus hat das Urteil verkündet. Interessanterweise hat jedoch das Volk Jesu zum Tod verurteilt. Der kausale Zusammenhang wird heute bei vielen gern vergessen. Denn die Wahrheit schmerzt bisweilen. Für mich ist Pilatus ein Zerrissener. Er sagt, „die Führer Deines eigenen Volkes brachten Dich her und beschuldigen Dich schwer.“ Und an andere Stelle fragt er das Volk: „Was hat er denn verbrochen, wofür er den Tod verdient?“ Deshalb glaube ich tatsächlich, dass beide – Pilatus, wie Jesus – Opfer der Geschichte wurden. Sie waren sogar energetisch abhängig voneinander. Vielleicht wären sie unter anderen Umständen Freunde geworden. Dieser Gedanke interessiert mich! Wir finden diese Tragik in allen menschlichen Konflikten. Auch heute noch.

Haben Sie mit Pontius Pilatus selbst auch in irgendeiner Weise „gehadert“, immerhin erscheint es auf den ersten Blick sehr ungerecht, wie er urteilt?
Wieso? Pontius Pilatus erkennt im Dialog mit Jesus dessen Wahrheit und will ihn ernsthaft begnadigen. Sein tragischer Fehler war, dass er das Volk bestimmen ließ. Offenkundig führt Demokratie nicht immer zur „richtigen“ Entscheidung.

Über die Rolle haben Sie gesagt: „Aus heutiger Sicht hat er einen großen Teil zum Erfolg des christlichen Glaubens beigetragen, denn ohne Kreuzigung, keine Auferstehung. Ohne Auferstehung, keine Barmherzigkeit und keine bedingungslose Liebe Gottes gegenüber den Menschen und der Schöpfung.“ Das klingt, als spielte der christliche Glaube oder die christliche Botschaft auch in Ihrem eigenen Leben eine gewisse Rolle?
Gottes größte Gerechtigkeit ist seine Barmherzigkeit. Ich denke, dem ist erstmal nichts hinzuzufügen.

Sie haben sich in Interviews schon öfter zum Thema Spiritualität geäußert. Glauben Sie an etwas Bestimmtes oder würden Sie sich als gläubigen Menschen bezeichnen?
Das ist eine sehr private und sehr komplexe Frage. Was ich wirklich glaube, sprengt diesen Rahmen. Es könnte sein, dass wir alle spirituelle Energiewesen aus einer geistigen Welt sind, die sich auf der Erde einfinden, um bestimmte Dinge zu erleben. Unsere Seelen bedienen sich quasi einer physischen Hülle, um die Energie unserer Gedanken zu manifestieren. Das heißt, jeder erschafft sich streng genommen seine eigene Realität. Wir können nur das hören und sehen, wozu wir bereit sind. Jeder von uns hat seinen eigenen Seelenplan, dem wir folgen dürfen. Die Frage ist, erkennen wir ihn, oder lassen wir uns ablenken? Gelingt es uns, diesen Knäuel zu „ent-wickeln“ und den berühmten „roten Faden“ zu finden? Oder verlieren wir uns im Sammelsurium der Verführungen?

Früher wurde Wissen und Information durch Sagen und Mythen bewahrt und weitergegeben. Dann erfanden wir das Buch, und viele wichtige Informationen wurden „neu“ erfasst, eben auch in der Bibel, im Koran, der Tora oder anderswo aufgeschrieben und weitergegeben. Und dann kam das Fernsehen. Um es mit einer humorvollen Frage zu sagen, wodurch offenbart sich für uns heute Gott und was ist außerhalb der Simulation?

„Nur die Liebe hat die Macht, die Welt zu verändern.“

Hat speziell die Ostergeschichte auch für Sie persönlich eine Bedeutung?
Jesus starb für uns am Kreuz. Die Auferstehung versinnbildlicht die Wiedergeburt, den Neubeginn von allem. Was bedeutet „Geburt“ und „Tod“? Sind das zwei Ereignisse am Anfang und am Ende von etwas, und was dazwischen liegt, ist „das Leben“? Oder steckt in dem Gleichnis von Ostern noch viel mehr Information? Man sagt, der Tod ist des Schlafes Bruder. Das bedeutet, wenn wir abends einschlafen, ist es eine Art „Tod“, und wenn wir am Morgen erwachen, eine Art „Auferstehung“. Wenn wir uns die „Zeit“ als Kontinuum betrachten, so ist sie in „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“ definiert. Die Vergangenheit existiert nicht mehr. Gleichzeitig existiert die Zukunft noch nicht.

Das bedeutet, wir leben jede Sekunde in einem Augenblick zwischen etwas, das nicht mehr existiert und etwas, das noch nicht existiert. Folglich findet „Leben“ und „Tod“ gleichzeitig im Hier und Jetzt statt. Ein Paradox? Wenn wir das als Realität annehmen, haben wir die enorme Chance, ständig neu aufzuerstehen und von Neuem zu beginnen. Dann ist jede Sekunde, die entsteht, eine Art Auferstehung. Ein neuer Blickwinkel. Eine neue Erkenntnis, eine neue Begegnung. Mit uns selbst und dem andren. Ich glaube, daran möchte uns Ostern erinnern.

Was wünschen Sie sich, welche Botschaft bei den Zuschauern der „Passion“ hängen bleibt?
Wir dürfen uns daran erinnern, dass Jesus Christus, Gandhi, Malala und andere ganz bewusst auf Gewalt verzichtet haben. Nur die Liebe hat die Macht, die Welt zu verändern.

Vielen Dank für das Gespräch.

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