„Jedes Kind aus dem Blickwinkel Gottes sehen“

Seit fast 30 Jahren kümmert sich die „Arche“ um Kinder in Armut. Gründer Siggelkow fordert ein Umdenken in der Politik, um Kinderarmut zu beseitigen. Und erklärt, warum es essenziell ist, Kindern ihren eigenen Wert zu vermitteln.
Von Swanhild Brenneke
Der Gründer und Leiter der Arche-Arbeit Bernd Siggelkow

„Arche“-Gründer Bernd Siggelkow kämpft mit seinem christlichen Hilfswerk seit vielen Jahren gegen Kinderarmut. „Armut in Deutschland schrecklicher geworden ist als vor 30 Jahren“, sagt er im Interview mit Domradio.de anlässlich seines 60. Geburtstags. Laut dem Deutschen Kinderschutzbund lebten vier Millionen Kinder in Deutschland in finanzieller Armut. 

„Wir als Arche bekommen oft Anrufe von Schuldirektoren, die uns bitten, in ihrer Schule an 100 oder 200 Schüler und Schülerinnen Frühstück zu verteilen, damit die sich im Unterricht konzentrieren können“, sagt der Pastor im Interview. Und auch in den Einrichtungen der „Arche“ erlebten die Mitarbeiter jeden Tag die Not vieler Kinder – auch emotional. Viele Kinder fühlten sich zu Hause wie das fünfte Rad am Wagen, sagten sogar manchmal, ihre Mütter hätte sie lieber abgetrieben.

Siggelkow sieht hier auch die Politik als Schuldige: Vor allem Alleinerziehenden fehle es an Perspektive und Würde. „Beides vermittelt man nicht über eine Erhöhung des Bürgergeldes, sondern über existenzsichernde Arbeitsplätze. Die aber gibt es leider für viele alleinerziehende Frauen kaum.“

Staat und Politik hätten versagt, findet der „Arche“-Gründer. Das moniert er auch in seinem neuen Buch „Das Verbrechen an unseren Kindern“. Das beste Beispiel sei die Kindergrundsicherung. „Da überlegt eine Familienministerin, dass wir eigentlich zwölf Milliarden Euro dafür brauchen. Am Ende bleiben nach dem Kompromiss unterm Strich 2,5 Milliarden Euro.“ Auf die Menschen umgerechnet, die darauf Anspruch haben, blieben 30 Euro pro Monat und pro Familie übrig. Das sei ein Witz. „Wir haben Kinder, die nicht genug zu essen haben, die in die Schule gehen. Wir haben ein marodes Bildungssystem“, sagt er.

„Wir leben unser Christsein“

Siggelkow sei selbst in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen. Seine Mutter verließ die Familie, als er klein war. Der Vater wollte keine Kinder. „Bei uns herrschte im Prinzip immer nur Existenzkampf.“ Ähnlich gehe es vielen Kindern heute auch. In vielen Einrichtungen mangele es nicht an Programm, um die Kinder zu beschäftigen, sondern an Liebe und Beziehung.

In der „Arche“ wolle man den Kindern genau das geben. „Wir versuchen, jedes Kind aus dem Blickwinkel Gottes zu sehen“, sagt Siggelkow. „Wir leben unser Christsein.“ Dabei gehe es nicht ums Reden oder Missionieren, sondern darum, den Kindern ein authentisches Gegenüber und Vorbild zu sein. „Wenn die Vorbilder wirklich echt sind, wollen sie das kapieren und vielleicht auch ein bisschen kopieren.“

Viele Kinder in der „Arche“ hätten in anderen Einrichtungen Hausverbot. Bei Siggelkow und seinen Mitarbeitern landeten oft „die Schwierigen“. Aber „wir sehen in jedem Kind sein Potenzial und versuchen, dieses Potenzial zu fördern. Wir wollen die Kinder unterstützen, sie stärken und ihnen sagen: ‚Glaube an dich, mach was aus deinem Leben. Es gibt jemanden, der an dich glaubt, der dir Dinge zuspricht. Du bist einzigartig und wertvoll.‘“

Siggelkow hat das als Kind selbst erlebt, als er einem Pastor begegnete, der ihm vermittelte, dass es jemanden gibt, der ihn liebt. „Damals war ich 16 und er sprach von Gott.“

Der Pastor fordert unter anderem, die Kindergrundsicherung in Bildung zu stecken und in die Fachkräfte im Bildungs- und Erziehungsbereich. „Kinder brauchen vor allem Ansprechpartner“, sagt er. Und: „Das Schulsystem sollte sich am Kind orientieren und nicht das Kind am Schulsystem.“

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