Der „Spiegel“ hat ein Interview mit dem Pfarrer der Weihnachtskirche in Bethlehem, Mitri Raheb, veröffentlicht. In dem Gespräch will die „Spiegel“-Redakteurin Monika Bollinger von dem lutherischen Pastor wissen, wie dieser auf die Massaker der Hamas reagiert habe. Schließlich würden viele Israelis diesen Angriff mit den Anschlägen des 11. September vergleichen, da dieser einen tiefen Schock in der israelischen Gesellschaft hinterlassen habe.
Daraufhin erklärt Raheb, dass dieser Vergleich „hinke“ und verweist darauf, dass die Terroraktion von langer Hand geplant worden sei und sich Israel zu sicher gefühlt habe. Er sei entsetzt über die vielen „zivilen Opfer“ und könne den Schmerz der Angehörigen nachempfinden. Raheb verweist auf das humanitäre Völkerrecht, das für alle gelten müsse und erklärt dann: „Was mich aber gerade jetzt in Deutschland empört, ist, dass viele überhaupt kein Mitgefühl für die Tausenden zivilen palästinensischen Opfer im Gazastreifen haben, als ob wir keine Menschen wären oder als ob unsere Leben weniger wert wären.“
Wo bleibt das Mitgefühl mit Israel?
Der Theologe irrt, denn er verwechselt in dem Gespräch Solidarität und Mitgefühl. Solidarität zeigt man zum Beispiel auf der Straße, Mitgefühl rührt einem das Herz an. Die uneingeschränkte Solidarität, der Schulterschluss vieler Deutscher gilt dieser Tage – zu Recht – dem Staat Israel und seinen Bürgern, die nach einem Terrorakt mehr als 1.300 Mordopfer zu beklagen haben. Denn nichts anderes war es als grausamer, kaltblütiger Mord an Frauen, Männern, Greisen und Kindern. Und den Angehörigen dieser beispiellosen Bluttat gilt ohne Ansehen von Ethnie, Religion oder Weltanschauung neben unserer Solidarität ebenfalls unser Mitgefühl. Genauso wie unser Mitgefühl den Angehörigen der Bauarbeiter gilt, die am Montag bei einem tragischen Unfall in Hamburg ums Leben kamen, oder den Zivilisten, die jüngst bei Militäraktionen der israelischen Armee gegen die terroristische Hamas ihr Leben verloren.
Erhellend wäre gewesen, Raheb umgekehrt zu fragen, wie sich denn das Mitgefühl der „pro-palästinensischen“ Demonstranten hierzulande mit den Angehörigen der Opfer in Israel zeigt. Oder, ob und wie sich Solidarität und Mitgefühl der Gewaltverneinenden und Friedenswilligen im Gazastreifen und in der Westbank mit den Angehörigen der Opfer auf israelischer Seite ausdrücken.
Aussagen irritieren
Bei dem Gespräch irritiert auch, dass Raheb im Brustton der Überzeugung behauptet, die Bombardierungen der israelischen Armee auf Gaza seien „offensichtlich willkürlich“. Die vermeintliche Willkür der israelischen Luftschläge drückt sich nach allem, was bekannt ist, nicht darin aus, dass gezielt einzelne Gebäude angegriffen werden. Auch nicht darin, dass Israel bislang auf Flächen-Bombardements verzichtet. Auch nicht darin, dass Israel die Zivil-Bevölkerung von Gaza-Stadt mehrfach aufgefordert hat, sich in den südlichen Teil des Gaza-Streifens in Sicherheit zu bringen. Woraus Raheb die angebliche Willkür der Angreifer ableitet, bleibt im Dunkeln.
Weiterhin bemängelt der Geistliche, dass Israel alle Städte „im Westjordanland abgeriegelt“ habe. Dadurch sei der Tourismus beispielsweise in Bethlehem zum Erliegen gekommen. Die Wahrheit ist, dass der Tourismus auch in Israel extrem leidet. Schuld ist aber die Hamas, die seit dem 7. Oktober – bis heute – Israel beschießt. Der Beschuss und eine drohende Ausweitung des Krieges haben internationale Fluglinien dazu veranlasst, ihre Flüge nach Israel weitestgehend einzustellen. Übrigens: Israelische Touristen haben nie die Möglichkeit, nach Bethlehem zu reisen – Lebensgefahr!
Und noch eine geschmacklose Antwort findet sich in dem Interview. Auf die „Spiegel“-Frage, wie es den Christen im Gazastreifen derzeit geht, beginnt Raheb seine Antwort mit „der Gazastreifen ist unter der israelischen Blockade zu einem Freiluftgefängnis geworden“. Die Wahrheit sieht weniger schwarz-weiß aus. Zum einen haben mehr als 18.000 Palästinenser aus dem Gazastreifen vor dem Angriff der Hamas ein Arbeitsvisum für Israel besessen, zum anderen sollte erwähnt werden, dass auch Ägypten eine Grenze zum Gazastreifen hat. Dass an der Grenze kein florierender Handel und Personenverkehr stattfindet, liegt an der ständigen Terrorgefahr, die von der Hamas ausgeht. Außerdem hat die Terrorgruppe die Grenzübergänge nach Israel vor drei Wochen zerstört.
Von: Norbert Schäfer und Martin Schlorke