Meinung

Kämpfen, klagen, staunen

Roswitha Jerusel erhält eine schockierende Diagnose: Sie hat Lungenfibrose. In „Weil jeder Atemzug ein Wunder ist“ schildert sie, wie sie ihre schwere Erkrankung durchlebt und sich am Ende für eine Lungentransplantation entscheidet.
Von PRO

Sie braucht frische Luft. Weil sie ein Draußenmensch ist, eine fitte Frau um die fünfzig, die sich gern bewegt. Sie versucht, Körper, Geist und Seele im Einklang zu halten. Was gelingt. Bis sie im Januar 2017 spürt, wie schwer ihr das Atmen plötzlich fällt. Sie wird von heftigen Hustenattacken überfallen, muss zum Arzt. Die Untersuchungen führen zu einer schockierenden Diagnose: Lungenfibrose.

Roswitha Jerusel ist unheilbar krank. Ihr droht ein schleichender Tod durch Ersticken. Die Alternative, eine Lungentransplantation, ist für sie zunächst keine Option. Als Pflege-Expertin kennt sie das Risiko.

Und so lässt Roswitha Jerusel für sich lange offen, welchen Weg sie am Ende geht. Aber: Sie gibt nicht auf, sondern nimmt die schwierige Situation an. Trotz aller Schwäche trainiert sie ihren Körper, nährt die Seele (und das auch im Gebet) und fordert ihren Geist. Sie dokumentiert und reflektiert den eigenen Prozess des Kämpfens, Klagens und Trauerns, aber auch des Staunens – und schreibt ein Buch.

Gewissermaßen nimmt sie damit ihre Leserinnen und Leser an die Hand und führt sie in die Welt einer schwer Erkrankten. Sie beschreibt, wie sie hadert und verzagt, aber noch viel mehr, wie sie sich einem Aufgeben entgegenstellt. Etwa in der Zwiesprache mit dem „Himmelsarchitekten“, wie sie Gott nennt, oder mit dem unerschütterlichen Ausloten der eigenen Grenzen. Roswitha radelt, läuft und schwimmt. So wie es eben geht, zusehends eher schlecht als recht, aber ihr „Dennoch“ ist stark.

Sie reist auf ihre Lieblingsinsel Föhr, vielleicht wider alle Vernunft. Sie tanzt am Hochzeitstag mit Ehemann Michel den womöglich langsamsten Walzer ever. Sie bereitet sich und ihre Liebsten auch auf das Abschiednehmen vor; sie sorgt dafür, dass ihr Umfeld gut über das informiert ist, was mit ihr passiert, und auch über das, was ihr hilft.

Foto: adeo Foto: adeo

Roswitha Jerusel: „Weil jeder Atemzug ein Wunder ist“, adeo, 237 Seiten, 20 Euro

Roswithas Krankheitsgeschichte lässt mitunter den eigenen Atem stocken. Die Abwärtsspirale dreht sich und dreht sich. Bis der vieles verändernde Anruf kommt: Es gibt ein Spenderorgan, eine neue Lunge. Und so erfolgt im Sommer 2021 eine Transplantation und damit noch einmal eine ganz große körperlich-seelische Krise.

Auch diese steht Roswitha Jerusel durch, und es ist anrührend, dass sie in ihrem Buch an dieser Stelle auch die beiden Töchter zu Wort kommen lässt. Zwei junge Frauen, die mit der Sinnfrage konfrontiert sind und eigene Antworten rund um das Schicksal der Mutter finden. „In meinem tiefsten Inneren bin ich irgendwie ruhig und sicher, dass wir sie nicht verlieren werden!“, schreibt die Ältere. Die Jüngere würdigt die Güte desjenigen, der ihrer Mutter ein neues, zweites Leben geschenkt hat. „Zu Lebzeiten dazu bereit zu sein, im Falle des eigenen Todes einem fremden Menschen die eigenen Organe zu spenden, um dessen Leben zu retten … Die Dankbarkeit für dieses Wunder kann ich einfach nicht in Worte fassen.“

Und so ist das Buch von Roswitha Jerusel nicht allein ein wertvoller Beitrag für lebensbedrohlich Erkrankte und jene, die sie begleiten, sondern auch ein eindrückliches Werben um eine größere Bereitschaft zur Organspende. Es ist kein Wunder, dass zwischen den Buchklappen auch ein Organspende-Ausweis zu finden ist.

Von: Claudia Irle-Utsch

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