Meinung

Der Fall Aiwanger ist ein beispielhafter Medienskandal

Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger steht unter medialem Beschuss: Ein Pamphlet aus den 80er Jahren könnte ihn die Karriere kosten. Dabei treffen fragwürdige journalistische Methoden auf schlechte Kommunikation. So wird ein Skandal daraus.
Von Jonathan Steinert
Hubert Aiwanger

Der bayerische Wirtschaftsminister und Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger (Freie Wähler) ist das innenpolitische Medienthema Nummer eins, seit die „Süddeutsche Zeitung“ (SZ) am vergangenen Samstag raunte, Aiwanger könnte in seiner Jugend ein antisemitisches Pamphlet verfasst haben.

Der Fall zeigt geradezu beispielhaft die Mechanismen eines Medienskandals. Wobei die Medien hier sowohl den Skandal aufdecken als auch Teil davon sind.

Die „Süddeutsche“ berichtete zuerst darüber. Allerdings enthält der Beitrag mehr Mutmaßungen als Belege. Der Text stellt die Frage, ob es eine Linie gibt von diesem menschenverachtenden, zynischen Text aus den 80er Jahren über Konzentrationslager zu Aiwangers heutigen politischen Einstellungen und Äußerungen.

Aber das kann die SZ nur nahelegen, andeuten und sich auf ehemalige Mitschüler berufen. Die erinnern sich aber auch nicht alle auf dieselbe Weise an den jungen Aiwanger. Dessen Bruder Helmut bekannte sich schließlich dazu, das Pamphlet verfasst zu haben, das jedoch auch in Huberts Schultasche gefunden worden war.

Doch seine öffentliche Wirkung verfehlte der SZ-Beitrag nicht. Sämtliche Medien sprangen auf, bohrten nach, brachten weitere Verfehlungen ans Licht, die die These der „Süddeutschen“ untermauern. So soll er als Jugendlicher den Hitlergruß gezeigt, Judenwitze gemacht oder Hitlers Buch „Mein Kampf“ in der Schultasche dabei gehabt haben. Bayerns Ministerpräsident Söder und selbst Kanzler Scholz haben darauf reagiert, der öffentliche Druck auf Aiwanger wuchs stündlich. Wie bedeutsam die einzelnen Details tatsächlich sind, sei dahingestellt.

Wer druckst, wird von den Medien gejagt

Wie der Medienjournalist Stefan Niggemeier analysiert, thematisiert der Text der „Süddeutschen“ schon seine eigene mögliche Wirkung: Bricht jetzt die politische Erfolgswelle des Politikers von den Freien Wählern? Denn auch der Zeitpunkt ist pikant: In fünf Wochen ist Landtagswahl in Bayern. Aiwanger und seine Unterstützer sprechen daher von einer „Schmutzkampagne“ gegen ihn. Dieser Eindruck drängt sich förmlich auf angesichts des Timings und der Art und Weise der Berichterstattung. Niggemeier hat recht, wenn er schreibt, dass sich Gegner des etablierten Journalismus dadurch in ihrer Ablehnung bestätigt fühlen werden.

Klar ist aber auch: Dieses das KZ verharmlosende Pamphlet ist unerträglich. Aiwanger bezeichnete seinen Inhalt in einer ersten Reaktion selbst als „ekelhaft“. Allerdings gab er erst am Donnerstag, fünf Tage nach Erscheinen des ersten Artikels, eine offizielle Erklärung dazu ab, in der er sich entschuldigte. Zugleich kritisierte er die politische Instrumentalisierung der Vorwürfe gegen ihn. Es werde ein Bild von ihm gezeichnet, das ihm nicht entspreche. „Das ist nicht Hubert Aiwanger“, sagte er abschließend.

Ob ihn diese Erklärung rettet? Stellungnahmen, die Aiwanger bisher auf Nachfragen von Journalisten abgab, hatten seine Lage in den vergangenen Tagen eher komplizierter gemacht. Wer herumdruckst, wird ein von den Medien Gejagter bleiben. Nur die Flucht nach vorn mit offener Kommunikation nimmt dem Angriff die Spitze: Fehler zugeben, Klarheit schaffen.

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