Anna Puzio hat Katholische Theologie, Germanistik und Philosophie in Münster und München studiert und zur Anthropologie des Transhumanismus promoviert. Sie arbeitet nun an der Universität Twente (Niederlande) im Forschungsprojekt „Ethics of Socially Disruptive Technologies“.
Zusammen mit Kollegen gründete sie das Netzwerk für Theologie und KI. Im Mai brachte sie das Buch „Alexa, wie hast du‘s mit der Religion? Theologische Zugänge zu Technik und Künstlicher Intelligenz“ heraus, das in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft (wbg) herauskam und dank Open Access kostenlos zum Download angeboten wird (so wie auch ihr Buch „Über-Menschen“ über Transhumanismus).
Im Buch beschreiben die Autoren unter anderem, wie Kirchen und Religionsgemeinschaften KI einsetzen können. Etwa bei der Veranstaltungsorganisation oder in der Datenverarbeitung (die Daten der Gläubigen auswerten, sortieren, leichter zugänglich machen, anonymisieren), oder bei der Prognose und Prozessoptimierung. Weitere Anwendungsmöglichkeiten: für Strategieentwicklung und Marketing, bei Texterkennung und -generierung, Musikkomposition, Bilderkennung und -generierung, Übersetzungen oder zur Erstellung von Texten in einfacher Sprache; für die Bibelforschung und das Wissensmanagement. Eine spannende Chance für die Kirchen und Religionsgemeinschaften sehen die Autoren zudem in Virtual und Augmented Reality. Außerdem diskutieren die Autoren Fragen wie die, wie die Theologie auf KI reagieren sollte.
Im Interview mit PRO sagte die Theologin Anna Puzio, eine Gefahr sehe sie weniger in der KI als vielmehr in dem Umgang mit ihr.
PRO: Inwiefern haben Sie bei Ihrem Forschungsprogramm „Ethics of Socially Disruptive Technologies“ an der Universität Twente mit Theologie zu tun?
Puzio: Ich habe selbst einen theologischen Background, ich habe Katholische Theologie, Germanistik und Philosophie in Münster und München studiert, in München habe ich in Philosophie promoviert, und das unter jesuitischer Trägerschaft. Und jetzt spezialisiere ich mich auf Anthropologie und Ethik aus philosophischer Perspektive, aber wir versuchen dabei, auch viele interkulturelle Perspektiven einzubringen, und dazu gehören natürlich auch die Religionen.
Worum geht es beim Netzwerk für Theologie und KI, das Sie mit gegründet haben?
Das wurde vor einigen Jahren gegründet, um Forschende im Bereich Theologie und Künstliche Intelligenz zu vernetzen. Damals haben noch wenige Forscher an diesem Thema gearbeitet, in den Lehrstühlen der Universitäten war es nicht sehr präsent. Wir organisieren Tagungen, geben Bücher heraus, führen Kolloquien durch und tauschen uns zu Themen wie Robotik aus und unterstützen uns gegenseitig.
In Ihrem Buch weisen Sie darauf hin, dass mit KI ja noch weitere Themen verknüpft sind: Virtual und Augmented Reality, Autonomes Fahren, autoregulative Waffensysteme, Enhancement, Reproduktionstechnologien und humanoide Robotik. Warum sind diese Technologien für die Theologie relevant?
Diese Technologien betreffen ja letzten Endes alle Lebensbereiche und transformieren sie. Das merken wir ja gerade bei KI. Es gibt kaum ein Berufsfeld oder Lebensbereich, der nicht potenziell von KI beeinflusst wird. Es geht nicht nur um ChatGPT, spannend wird es, wenn Unternehmen die KI-Tools irgendwann implementieren und dadurch immer mehr unseren Alltag bestimmen. Die Theologie erhebt ja den Anspruch, an die Lebenswirklichkeit von Menschen anzuknüpfen. Das macht sie zum Beispiel durch Anthropologie, durch ihre Praxis, aber auch durch ihre Ethik, indem sie versucht verantwortungsvoll mitzugestalten, wie man diese Technologien gerecht einsetzen könnte.
Machen sich Theologen Sorgen wegen KI?
In der Gesellschaft gibt es gerade eine starke Polarisierung. Es gibt starke Ängste und eine Skepsis gegenüber KI. Auf der anderen Seite aber auch Euphorie und eine große Erwartung, teilweise auch eine Überschätzung der Möglichkeiten. Etwa Ähnliches haben wir auch in der Theologie. Ich selbst habe die Hoffnung, dass durch den Hype, den das Thema KI derzeit erfährt, noch mehr Menschen damit in Kontakt kommen. Dann können wir einen reflektierenden Mittelweg finden und schauen, wie und wo wir KI sinnvoll einsetzen können und wegkommen von einer grundlegenden Ablehnung.
Sehen Sie in der KI auch eine Gefahr?
Ich würde nicht von Gefahr sprechen, sondern lieber von Herausforderungen. Es ist die Frage, inwiefern die bekannten Monopole wie Meta und andere die KI-Applikationen implementieren. Da geht es natürlich um Macht, und die wird die Gesellschaften am Ende sehr bestimmen. Da sehe ich Herausforderungen. Der ChatGPT-Anbieter OpenAI hat vor kurzem von einer „künstlichen Superintelligenz“ gesprochen. Da fallen häufig Aussagen, die wissenschaftlich nicht fundiert sind, die aber Ängste wecken und zu einer falschen Wahrnehmung von KI führen. Auch der Transhumanismus bedient diese Vorstellung einer Superintelligenz, die uns alle irgendwann angeblich überholt. Aber der Transhumanismus argumentiert oft sehr pseudo- und unwissenschaftlich. Es gibt nach heutigem Verständnis grundlegende Unterschiede zwischen einer menschlichen Intelligenz und einer künstlichen.
Inwiefern?
Dem Transhumanismus – also etwa die Vision, dass der Mensch auf eine Festplatte hochgeladen werden könnte (das Mind-Uploading) – liegt ein sehr reduktionistisches Menschenbild zugrunde. Das merkt man etwas in der Genetik oder in den Neurowissenschaften. Da heißt es dann, der Mensch lasse sich vollständig auf sein Gehirn reduzieren. Das würden Neurowissenschaftler so nicht unterschreiben. Jeder Mensch hat einen Körper, und das Gehirn kann gar nicht unabhängig vom Körper existieren, sondern interagiert permanent mit ihm.
Bringt die Theologie hier den Begriff der Seele mit ein, die den Menschen vom Roboter unterscheidet?
Gerade bei KI wird die Frage nach der Seele tatsächlich wieder neu aufgeworfen, so wie die nach dem Bewusstsein. Dazu gibt es ja seit langem eine Debatte, wir haben trotzdem keine Einigung darin, was Bewusstsein genau ist. Wir kommen aber immer mehr zu dem Schluss, dass wir uns nicht bei dieser Frage aufhängen sollten, was Bewusstsein ist, sondern den Fokus auf andere Fragen verschieben. Wir fragen uns als Mensch: Was kann die KI, was der Mensch nicht kann? Was zeichnet den Menschen aus? Da wird die Seele aktuell wieder neu in den Diskurs eingebracht, als christliche Vorstellung, die uns am Ende immer noch unterscheidet von der Maschine. Aber das beendet den Diskurs natürlich dann sehr schnell, dann heißt es nur: Ein Mensch hat eine Seele, eine KI nicht. Aber der Mensch wurde in seiner Sonderstellung schon auf verschiedenen Bereichen verstoßen, etwa bei der Kommunikationsfähigkeit, der Empathie oder beim Werkzeuggebrauch. Am Ende führt uns das immer wieder zu der Frage, was eine Seele denn eigentlich ist, und wie man sie nachweisen könnte. Bei Tieren etwa wird die Debatte schon schwierig.
Aber besteht nicht die Gefahr, dass man ein Selbst-Bewusstsein und einen freien Willen in eine KI hineininterpretiert, so als sei dahinter eine Person, die selbst denken kann?
Ja, die Gefahr einer Über-Interpretation besteht natürlich. Deswegen würde ich immer dazu tendieren, lieber über das zu sprechen, was die Technik jetzt kann und vielleicht in Zukunft können wird, anstatt über das zu sprechen, was die KI vom Menschen unterscheidet. Am Ende reflektieren wir dann immer wieder darüber, was der Mensch ist. Das macht der Mensch schon seit vielen Hunderten von Jahren. Früher waren mechanische Apparate der Anlass, heute sind es Robotik und KI, sodass wir aushandeln, was Menschsein eigentlich ist.
Vielen Dank für das Gespräch!