Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, hat in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) bestätigt, dass in der Stadt die Übergriffe gegen Christen zugenommen haben. Darin sprach das Oberhaupt von rund 300.000 katholischen Christen der Erzdiözese, die neben Israel, noch die Palästinensischen Autonomiegebiete, Jordanien und Zypern umfasst, davon, dass er selbst bereits bespuckt worden sei. Neben Beleidigungen sei dies die häufigste Form von Übergriffen.
Über mögliche Gründe für die Anfeindung von Christen äußerte sich der Franziskaner zurückhaltend. Als möglichen Grund nennt Pizzaballa die Erziehung. Das Anspucken von Christen müsse den Kindern jemand beigebracht haben. „Vielleicht gibt es eine junge Generation, etwa in den Siedlungen, die in einem extremistischen oder polarisierenden Kontext aufgewachsen ist und keine Diversität kennt“, vermutet der Ordensgeistliche.
Zunahme seit Antritt der neuen Regierung
Auf die Frage, ob die Zunahme der Übergriffe auf Christen mit dem Antritt der rechtsreligiösen Regierung in Israel eine neue Qualität gewonnen habe, antwortet Pizzaballa: „Ich weiß nicht, ob es da eine Verbindung gibt. Aber es ist Tatsache, dass wir seit dem Amtsantritt der neuen Regierung eine deutliche Zunahme verzeichnen.“
Der evangelische Pfarrer Joachim Lenz ist seit 2020 als Propst von Jerusalem für die pastorale Versorgung evangelischer Gemeinden in Israel und in den palästinensischen Gebieten zuständig. Lenz sagt gegenüber PRO, dass sich die Attacken in der Regel gegen Menschen richten, die durch ihr Äußeres als Christen erkennbar seien – zum Beispiel gegen armenische Priester oder die deutschen Benediktiner aus der Dormitio-Abtei, die durch ihre Kutten als katholische Mönche erkennbar sind. Sie erlebten in der Altstadt tatsächlich immer öfter, dass sie beschimpft oder angespuckt würden.
Lenz nennt einen weiteren möglichen Grund für die Übergriffe: „Die Gemeindemitglieder des Lateinischen Patriarchen sind überwiegend arabischer Herkunft, also Palästinenser. Sie werden von den Angreifern als ungeliebte Einheimische betrachtet und dann auch noch als Christen identifiziert.“ Pizzaballa selbst ist gebürtiger Italiener. Sein Vorvorgänger, Michel Sabah, ist Palästinenser. Auch die griechisch-orthodoxen Christen in Jerusalem sind nach Angaben von Lenz überwiegend arabischer Abstammung, nur der Klerus sei überwiegend griechischer Herkunft.
Die deutsche Gemeinde in der Erlöserkirche in Jerusalem ist seinen Angaben zufolge die einzige nicht-autochthone Kirche am Ort. Seine Gemeindemitglieder und Gottesdienstbesucher würden wohl oft als ausländische Gäste und damit nicht ins Feindbild passend wahrgenommen. „Uns aus Europa schützt manchmal offenbar auch unser europäisches Aussehen. Wir Deutsche fühlen uns vergleichsweise sicher. Mir selbst ist in drei Jahren nur zweimal vor die Füße gespuckt worden. Das ist bei anderen Kirchen und Christenmenschen in Jerusalem anders“, sagt der Propst.
Auch die griechisch-orthodoxen Christen in Jerusalem sind laut Lenz mehrheitlich arabischer Abstammung. Nur der Klerus sei überwiegend griechischer Herkunft. „Die Christen in Jerusalem werden von Juden in erster Linie als Palästinenser und Araber wahrgenommen“, erklärt Lenz. Bei der überwiegenden Zahl seiner Gottesdienstbesucher sei daher erkennbar, dass es sich nicht um Einheimische handele. „Das ist bei anderen Kirchen in Jerusalem eher weniger der Fall“, sagt der Propst.
Patriarch: „Haben keinen Kontakt zur Regierung“
Pizzaballa warnt in dem FAZ-Interview vor einer Generalisierung. Die Anfeindungen stammten nicht aus dem „Mainstream des Judentums“, sondern aus Randgruppen, meist ultraorthodoxen Juden oder dem nationalreligiösen Spektrum. Den Angaben zufolge hätten alle Kirchen vergeblich versucht, wegen der Übergriffe Kontakt mit der Regierung des Landes aufzunehmen. „Wir haben keine Kontakte zur Regierung auf der politischen Ebene“, sagte der Patriarch. Er forderte ausländische Regierungen auf, der israelischen Regierung die Bedeutung der Christen in Jerusalem in Gesprächen vor Augen zu führen. Pizzaballa sprach sich zudem dafür aus, dass die Politik die heiligen Stätten nicht antasten soll.
Besorgt zeigte sich Pizzaballa in dem FAZ-Interview auch über die sinkende Zahl der Christen aufgrund von Auswanderung und niedriger Geburtenraten. Das erschwere die Gründung von Familien. „Für mich ist der christliche Charakter Jerusalems Teil der multireligiösen und multikulturellen Identität der Stadt.“ Dazu gehörten auch die christlichen Gemeinden. Gegen die Vorstellung, dass die christliche Präsenz im Heiligen Land ein Ende finden könnte, wehrte sich der Patriarch. „Wir werden nicht verschwinden“, sagte Pizzaballa, und weiter: „Aber ja: Wir werden weniger, und wir haben nicht die gleiche Sichtbarkeit und Stärke wie früher.“