In diesem Jahr wurden bereits drei Berichte zur weltweiten Situation von Christen vorgestellt: Der „Ökumenische Bericht zur Religionsfreiheit weltweit“, sowie die Berichte von „Open Doors“ und „Kirche in Not“. Alle zeichnen ein düsteres Bild mit Blick auf die weltweite Religionsfreiheit und Christenverfolgung. Im Gespräch mit PRO erklärt der Menschenrechtsexperte und frühere Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit bei den Vereinten Nationen, Heiner Bielefeldt, warum gerade evangelikale Christen betroffen sind und weswegen es auch positive Entwicklungen gibt.
PRO: Herr Bielefeldt, wie hat sich die Religionsfreiheit in den vergangenen Jahren entwickelt?
Heiner Bielefeldt: Es kommt natürlich immer darauf an, wohin man schaut. Aber ich will nicht verhehlen, dass es in großen Teilen der Welt massive Verschlechterungen gibt.
Weil jetzt neue Themenfelder wie die Rechte von Indigenen oder Gastarbeitern in Katar mit Blick auf Religionsfreiheit thematisiert werden?
Natürlich hängt vieles davon ab, was man überhaupt sehen möchte. So war die Situation der Uiguren in China vor zehn Jahren überhaupt nur wenig im Blickfeld der Öffentlichkeit, obwohl sie auch damals schon dramatisch war.
Es ist aber tatsächlich manches schlechter geworden, zum Beispiel in China oder in Indien. Betroffen sind in beiden Ländern vornehmlich die muslimische und die christliche Minderheit – innerhalb der Christen vor allem auch Evangelikale.
Warum ausgerechnet evangelikale Christen?
Protestanten im Allgemeinen und Evangelikale im Besonderen werden schnell mit dem Westen, beziehungsweise den USA in Verbindung gebracht. Darüber hinaus wird evangelikalen Christen aktives missionarisches Engagement zugeschrieben. Bei traditionell ansässigen Christen finden solche Zuschreibungen weit weniger statt.
Gibt es auch Länder, in denen sich die Situation verbessert hat?
Ja, zum Beispiel in einigen europäischen Ländern. In Deutschland hat man grosso modo gelernt, mit dem Thema Kopftuch differenzierter als früher umzugehen. Das kann man sogar in der Rechtsprechung sehen, die sich in den letzten 20 Jahren in Richtung von mehr Offenheit entwickelt hat. Es ist klar geworden, dass Kopftücher nicht automatisch die Unterordnung der Frau ausdrücken. Man sollte stets mit den betroffenen Frauen reden. Dann wird man feststellen, dass sich ein sehr komplexes Bild ergibt. Ähnliche Lernerfolge würde ich übrigens auch anderen Gesellschaften attestieren.
Es ist wichtig, gelegentlich auch positive Entwicklungen zu benennen, um dem Eindruck zu widersprechen, dass es sinnlos sei, sich in Sachen Religionsfreiheit überhaupt zu engagieren. Fortschritte sind durchaus möglich. Es bleibe aber dabei, dass wir leider eben doch viele Verschlechterungen feststellen müssen.
Auf dem Evangelischen Kirchentag hat der ehemalige Unionsfraktionschef Volker Kauder das BAMF, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, heftig kritisiert. Der Vorwurf: Konvertierte Christen würden in den Iran abgeschoben. Teilen Sie die Kritik?
Ja, ganz eindeutig. Abschieben in den Iran heißt womöglich, Menschen in den Tod zu schicken oder sie zumindest in eine äußerst gefährliche Situation zu bringen. Das wird der Religionsfreiheit nicht gerecht.
Warum agiert das BAMF dann so?
Das BAMF ist vermutlich misstrauisch. Man geht davon aus, dass Menschen eine Konversionsgeschichte frei erfinden, um in Deutschland bleiben zu können. Dem würde ich entgegenhalten, dass ein Glaubenswechsel in der Regel nicht leichtfertig stattfindet. Wer öffentlich davon spricht, Christ geworden zu sein, muss auch familiär mit weitreichenden Konsequenzen rechnen; da brechen Brücken ab, die sich oft nicht mehr reparieren lassen. Das macht man nicht so einfach hin, um das BAMF zu beeindrucken. Zum anderen fällt auf, dass Iraner unter den Konvertierten überproportional vertreten sind. Das gibt auch zu denken.
Wie kommt das?
Ich erinnere mich an Diskussionen schon in den 90er Jahren, als ich bei Amnesty International in Sachen Iran engagiert war. Bereits damals gab es Spekulationen über Zehntausende Kryptochristen im Iran. Natürlich ist es schwierig, hier mit Zahlen zu operieren. Aber dennoch gibt es Hinweise auf ein spezifisches Konversionspotenzial im Iran. In diesem sehr repressiven Regime, in dem der Islam massiv vom Staat für seine Zwecke vereinnahmt wird, verspüren viele Menschen eine religiöse Sehnsucht, die sie in religiöser Literatur suchen – gerade auch in evangelischen Schriften. Dies würde ich ebenfalls gegen die Einschätzung des BAMF ansprechen.
Immer wieder ist der Vorwurf zu hören, dass sich die Ampel-Koalition nicht genügend für verfolgte Christen einsetzt. Der Sozialdemokrat Frank Schwabe, Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, hat zum Beispiel angekündigt, vor allem die Religionsfreiheit von Indigenen in den Mittelpunkt seiner Arbeit zu stellen. Ist also an dem Vorwurf etwas dran?
Nein, auf keinen Fall. Natürlich kann man beim Thema Religionsfreiheit unterschiedliche Prioritäten setzen. Es gibt leider nur eine Handvoll Leute in der Politik, die starkes Engagement für das Thema zeigen, und zwar über die Fraktionsgrenzen hinweg. Ich wünschte mir, es wären mehr. Aber man sollte das Engagement nicht parteipolitisch auseinanderdividieren.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Bielefeldt.