Schulleiterin warnt: Wir verlieren unsere Kinder

Viele Kinder sind rat- und hilflos, weil sie in sozialen Medien gemobbt und fertig gemacht werden. Um ihnen einen reflektierten und gesunden Umgang zu ermöglichen, sieht die Pädagogin und Buchautorin Silke Müller vor allem die Eltern in der Pflicht.
Von Johannes Blöcher-Weil
Kinder schauen in ein Smartphone

Junge Menschen werden in den sozialen Netzwerken mit ganz vielen verstörenden Inhalten konfrontiert. Als Schulleiterin und niedersächsische Digitalbotschafterin weiß Silke Müller, welchen Gefahren Kinder und Jugendliche durch das Smartphone ausgesetzt sind. Ihr Buch „Wir verlieren unsere Kinder!“, das kürzlich bei Droemer erschienen ist, ist ein Weckruf, Kinder nicht mit diesen Inhalten alleine zu lassen.

Silke Müller schürt dabei keine Ängste oder argumentiert gegen eine Digitalisierung. Aber das, was die Schulleiterin und Autorin im Schulalltag erlebt, bereitet ihr enorme Sorgen und die bringt sie mit dem Buch zum Ausdruck. Mehrere Beispiele verdeutlichen, mit welchen Anliegen und Inhalten Schüler zu ihr kommen und sie um Hilfe bitten.

Eindrücklich und prägnant, aber ohne erhobenen Zeigefinger, nimmt sie vor allem die Erwachsenen in die Pflicht. Diesen gelinge es zu selten, ihre Kinder beim Umgang mit Smartphone und sozialen Medien altersgerecht zu begleiten. Von daher müssten auf die Bestandsaufnahme des Buches auch konkrete Handlungen folgen.

Kinder werden mit den Inhalten alleine gelassen

Die junge Generation habe mit wenigen Klicks das Wissen der gesamten Welt zur Verfügung: rund um die Uhr, ungefiltert und kaum reguliert. Aus Konsumenten seien in den letzten Jahren auch Produzenten der Inhalte geworden. Und genau für diese Inhalte fordert Müller mit der nötigen Vehemenz eine digitale Ethik.

Der Leser spürt die Sorge, die sie vor einer Gesellschaft hat, der diese digitale Ethik fehlt. Dann könnten Inhalte in den Chats der Gaming-Plattformen oder in den Messenger-Diensten noch mehr verrohen. Auf die Beispiele, die sie hier nennt, lassen erschaudern. Erigierte Geschlechtsteile, kastrierte Menschen oder Hitler-Memes sind einige der bemängelten Inhalte.

Natürlich müsse Schule ihre Hausaufgaben erledigen, aber auch zu Hause müssten Eltern für ihre Kinder da sein, wenn sie auf solche Inhalte stoßen. Es brauche insgesamt wieder mehr menschliches Mitgefühl und einen Blick für das Wohl der Kinder. Dabei hält Müller den Erwachsenen den Spiegel vor. Sie würden oft nach der Devise handeln „Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen!“ Das könne in der „Anarchie des Netzes, wo das Recht des Lautesten“ zähle, nicht die Lösung sein.

Erwachsene brauchen eine Ahnung von der kindlichen Lebenswelt

Es brauche Herz, Verstand und ein moralisches Gewissen, um diese digitale Ethik zu etablieren und zu fördern. Erwachsene müssten über die Lebenswelt der Kinder Bescheid wissen. Spiele, die sie ihren Kindern gestatten, sollten sie selbst getestet haben. Auch ein medienfreier Tag pro Woche gehört zu den konkreten Vorschlägen.

Müller schaut auch aus ihrer beruflichen Perspektive auf das Thema. Schulen sollten Räume schaffen, in denen junge Menschen Medienkompetenz lernen können. Gerade in einer Zeit, in der die Zahl der Follower über die Beliebtheit entscheide, müsse nicht jeder alles kommentieren. Ihr selbst habe der Satz „Bei TikTok habe ich Freunde, die verstehen, wie es mir wirklich geht“, die Augen geöffnet.

„Social Media“-Sprechstunden in Schulen beseitigten zwar nicht alle Probleme, könnten aber dafür sorgen, dass sich die Kinder im Netz nicht verloren und isoliert fühlen. Ein Smartphone-Verbot an sich löse keine Probleme, stattdessen brauche es einen ethischen Grundkonsens für das Internet. Kinder benötigten Hinwendung und Nähe, um sich gegen die „Monster der virtuellen Welt“ zu wehren.

Kein Smartphone für unter 14-Jährige

Müller selbst hat klare Vorstellungen für den Medienkonsum von Kindern. Ein Smartphone gehört nicht in die Hände von Kindern unter 14 Jahren. Kein vernünftiger Mensch würde Kinder mit einem Fahrrad auf die Autobahn schicken, vergleicht sie. Kinder sind in der Pflicht, sich dem Thema zu stellen, aber auch Erwachsene sind gefordert, sich endlich intensiv mit der wirklichen Lebenswelt der Kinder beschäftigen.

Hier sieht Müller ein klares Versäumnis in der Vergangenheit. Eltern würden als gute Vorbilder gebraucht, die (ihren) Kindern so viel Rüstzeug mitgeben, dass „sie sich Mitmenschlichkeit und Gemeinschaft, Respekt, Toleranz und einen friedvollen Umgang miteinander zurückerobern“.

Aus Müllers Sicht könnte das einen guten, oder zumindest einen besseren Weg in die Zukunft ebnen als bisher. Insgesamt hat Müller ein Buch aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Darin plädiert sie für eine zeitgemäße und an Werten orientierte Medienerziehung. Die vielen konkreten Beispiele aus dem Schulalltag und die Tipps für den Alltag, die zugegebenermaßen langfristig eingeübt werden müssen, runden das Buch ab und könnten dabei helfen, die eigenen Kinder zurückzugewinnen.

Silke Müller, Wir verlieren unsere Kinder, Droemer HC, 224 Seiten, ISBN: 9783426278963, 20 Euro.

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