„Gott hat die Arme nicht vergessen“

Josia Topf kam ohne Arme und mit unterschiedlich langen Beinen ohne Knie zur Welt. Doch im Wasser ist er in seinem Element: Er gehört zu den derzeit erfolgreichsten deutschen Para-Schwimmern. Und er weiß Gott an seiner Seite.
Von PRO
Para-Schwimmer Josia Topf, hier bei der Weltmeisterschaft 2022, hat gestern seine erste Goldmedaille bei den Paralympics gewonnen

Er wirbelt und windet sich durch das Wasser, leicht auf der Seite liegend. Stößt sich fast im Rhythmus der Lautsprecher-Beats in der Bahn vorwärts. Josia Topf stellt an diesem Maimorgen in der Schwimm- und Sprunghalle im Europasportpark in Berlin einen neuen deutschen Rekord auf: Mit einer Zeit von drei Minuten und 41 Sekunden auf 200 ­Metern Freistil unterbietet sich der 20-Jährige in seiner Startklasse S3 selbst.

Bei den 37. Internationalen Deutschen Meisterschaften (IDM) im Para-Schwimmen in Berlin werden junge Männer und Frauen aus vielen Nationen für den sogenannten Vorlauf teils in Rollstühlen an die Startblöcke geschoben. Manche pflügen sich einarmig durch die Bahn, andere kraulen mit beiden Armen und ziehen die Beine hinter sich her.

Josia Topf hat keine Arme. Seine Hände sitzen direkt an der Schulter. Die kurzen Beine sind unterschiedlich lang und besitzen keine Kniegelenke. Ursache ist ein Gen-Defekt, genannt TAR-Syndrom. Doch im Wasser ist Topf wendig wie ein Fisch.

Und: Anders als an Land kann er sich hier auspowern. „Ich habe keine andere Möglichkeit, meinen Puls hochzubringen“, sagt er. Stehen und laufen geht zwar mithilfe einer Orthese, aber es schmerzt mit der Zeit und die meisten Sportarten klappen einfach nicht. „Schwimmen ist die perfekte Kombi: Ich bleibe fit, meine Fehlbildung verschlimmert sich nicht und ich habe diese pure Erschöpfung.“ ­Jeden Tag ist Topf mindestens einmal im Wasser und trainiert.

Bei der IDM in Berlin im Mai 2023 unterbietet sich Josia Topf auf 200 Metern Freistil selbst

Eine Rückblende: Zu Beginn des letzten Schwangerschaftsdrittels erfahren Wiebke und Hans-Georg Topf unvorbereitet, dass ihr Kind mit einer schweren körperlichen Behinderung zur Welt kommen wird. Als sie sich im Januar 2003 für oder gegen eine Abtreibung entscheiden müssen, ist für Wiebke als Christin klar, dass es hier nicht nur um die Frage geht, ob sie ihr Baby behalten will. Sondern auch, ob sie Gott in ihrem Leben behalten will.

In ihrem Buch „Nur die Liebe zählt“ schildert sie eindrücklich den Sturm, der durch ihr Leben tobt. Die Eltern entscheiden sich für ihr Kind – und für Gott. Es wird alles andere als einfach. Schmerzvoll, schlauchend.

Und trotzdem: In einer Dokumentation des Filmemachers Michael Bernstein, „Ich bin nicht kaputt“ (2011, 3sat), erzählt ein fröhlicher blondgelockter Achtjähriger, er sei mit seinem Leben zufrieden. In seiner Heimatstadt Erlangen besucht Josia einen regulären Kindergarten und seine Schulklasse lebt dank engagierter Lehrer ganz praktisch Inklusion. „Es lag nicht an den Regelungen oder Gesetzen, sondern an sehr netten und sehr offenen Menschen, die Inklusion mit einem gesunden Menschenverstand betrieben haben“, sagt Josia Topf heute. „Sie haben mir sehr weitergeholfen – das System dagegen nicht.“

Auch Josias Schwimmverein lebt Inklusion. Mit fünf Jahren hatte ihm sein Vater das Schwimmen beigebracht. „Irgendwann merkte ich, dass mir der Wettkampf fehlte“, erzählt Topf. Den findet er im Schwimmverein Erlangen. „Dort hat es mich so richtig gepackt“, lacht er. „Und jetzt sitze ich hier bei den Meisterschaften, freue mich wie ein kleines Kind über jede Bestzeit und ärgere mich über alles, was knapp dran vorbeiging.“

Gute Beziehungen sind das Wichtigste

Ein Highlight: Die Teilnahme an den Paralympischen Sommerspielen 2021 in Tokio. Ein Traum von ihm: Eine Paralympics-Medaille. Dafür hat es in Tokio nicht gereicht. Unterdessen hat Topf Abitur und Führerschein bestanden, steuert ein umgebautes Auto per Spracherkennung und Joystick.

In Erlangen studiert er an der Uni Jura im dritten Semester. Ein eher trockenes Kontrastprogramm zum Schwimmen? „Es ist nicht trocken, es hat Struktur“, korrigiert Topf. „Du musst in Jura argumentieren können – was ich liebe und was mich fordert. Aber du musst dich an Regeln und Grenzen halten. Diese Mischung gefällt mir.“

Die moderne Technik erleichtert ihm das Studieren, auch Freunde helfen an der Uni. Zu Hause im Alltag ist es vor allem Mutter Wiebke, die ihn unterstützt. Waschen, anziehen, zur Toilette gehen, all das klappt nicht allein. Wiebke Topf kennt das seit zwanzig Jahren. Die Mutter-Sohn-Beziehung hat das geprägt.

Trotz viel Nähe gibt es die beiden aber nicht nur im Doppelpack. Das stellt Josia Topf klar: „Meine Mama hilft mir, sie ist für mich da, sie unterstützt mich und ermöglicht mir, dass ich mein Leben überhaupt gestalten kann. Aber wer ich bin, was ich mache und mit wem ich verkehre, davon weiß sie die Hälfte überhaupt nicht.“ Und Wiebke Topf, die ihren Sohn nach Berlin begleitet hat, ergänzt: „Das geht mich auch gar nichts an.“

Die oft schwierige Pubertätsphase hat Familie Topf gut gemeistert. Ein schlechtes Verhältnis miteinander konnten sich Eltern und Sohn gar nicht leisten und haben immer sehr offen miteinander geredet. Mehr und mehr loszulassen ist für die Mutter an vielen Stellen auch eine Entlastung. Und sie traut ihrem Sohn viel zu: „Er ist erwachsen, er wird es hinkriegen.“

Josia Topf ist bei vielen alltäglichen Dingen auf Hilfe angewiesen. Im Wasser ist er in seinem Element.

Er sei früh erwachsen geworden, sagt Josia Topf über sich selbst. „Ich habe früh erkannt, dass es in meinem Leben Limits gibt und ich die einfach akzeptieren muss.“ Mit solch einer Behinderung könne man entweder komplett aufgeben. Oder sich seine Nischen suchen. „Denn manche Dinge gehen eben doch.“

Neben dem Schwimmen investiert sich Topf in Kontakte. „Ich habe viele coole Freunde und freue mich schon drauf, im Sommer mit ihnen im Biergarten zu sitzen.“ Manche Freundschaft besteht seit dem Kindergarten. Beziehungen sind ihm das Wichtigste. „Es geht nicht darum, was man hat, was man kann oder möchte, sondern es geht nur um Beziehungen“, betont er. „Wenn ich am Ende sterbe und zwanzig gute Beziehungen hatte, war mein Leben reicher, als wenn ich fünf Häuser habe und mich alle hassen.“

Mit Gott im Reinen, genervt von Frommen

Beziehungen pflegen, das schließt auch seine Beziehung zu Gott mit ein. Christlich aufgewachsen, ist da immer ein Zugang zum Glauben gewesen. Mit vier Jahren will Josia dann in einem Traum von Gott wissen, warum er behindert sei. „Es war weniger die Frage: Warum hast du das zugelassen? Sondern mehr: Hast du da was vergessen?“, erklärt Topf.

„Es hat keinen Sinn, die Warum-Frage zu stellen.“

„In diesem Traum saß ich am Tisch mit Gott und er hat mir versichert, er habe meine Arme nicht vergessen“, erinnert er sich. „Und es sei nicht so, dass ich nicht komplett wäre, sondern dass er sich schon etwas dabei gedacht habe.“ Das ist der Beginn einer engen Beziehung mit Gott, die über die Jahre an Stabilität gewinnt.

Die Warum-Frage vermeidet Topf ganz bewusst: „Es macht keinen Sinn, sie zu stellen. Ich werde in diesem Leben darauf keine Antwort kriegen, die mir hilft.“ Mit Gott ist er im Reinen, mit dessen Bodenpersonal eher weniger. „Was Leute schon über mein Leben ausgesagt, prophezeit oder darin verdammt ­haben …“, sagt er genervt. „… weil sie als Christen so unter Druck stehen und eine Antwort geben wollen“, ergänzt seine Mutter.

Auch sie kann ein Lied singen von vielleicht gut gemeinten, aber übergriffigen Hinweisen, wie Glaube und Behinderung zusammenhängen könnten. Dass sich auf Fasten, Gebet und Proklamation hin nichts getan hat, können viele Christen nicht verstehen – und müssen sich die Dinge zurechtbiegen, um ihr Gottesbild zu bewahren.

Josia Topf macht seine Gottesbeziehung nicht von einer Heilung oder Nichtheilung abhängig. „Die Beziehung, die ich zu Gott habe, habe ich weder wegen noch statt meiner Behinderung“, sagt er. „Es ist wie mit meinem besten Kumpel: Wir bleiben Freunde, egal, was passiert.“

Dass die Familie Topf Josias Behinderung „angenommen“ hat, bringt es nicht auf den Punkt. Sie liebe Josia, erklärt Mutter Wiebke. Aber die Behinderung hasse sie. So viele Einschränkungen, so viele Schmerzen, so viel Kampf und Kraft. Aber sie leben mit der Behinderung. Jeden Tag. Und immer mit dem Gott an der Seite, der da ist und versteht.

Von: Christina Bachmann

Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Sie können das Heft kostenlos bestellen oder digital lesen.

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