Warum empfinde ich so viel Hoffnung im autoritären China? Dieser Gedanke mag für europäische Ohren schräg und verwirrend klingen. Niemand kann leugnen, dass die Überwachungsinfrastruktur in China nahezu perfektioniert ist, und dass die Räume für Kritik an der Regierung immer wieder verengt sind. Dazu kommt, dass die Corona-Pandemie die Wirtschaft nahezu lahmgelegt hat.
Dennoch drängte sich mir das Gefühl der Hoffnung für meine erste Heimat China auf, als ich nach einer zwölftägigen Reise von dort zurück nach Deutschland kam.
Um den Verdacht auf eine Pro-China-Propaganda zu vermeiden, möchte ich betonen: Es geht mir keineswegs um eine Verteidigung des autoritären Systems in China, sondern um den Versuch, das Verhältnis zwischen dem System und den Menschen aus ihren Perspektiven zu beleuchten.
Es war meine erste Heimreise nach fast vier Jahren. Ich war kurzfristig als Referentin zu einem dreitägigen Medienforum eingeladen worden. Schon am internationalen Flughafen von Peking fiel mir auf: In den Restaurants machten alle Kunden ihre Bestellung per Handy.
Komische Leute wie ich, die nicht überall ihre Daten hinterlassen wollen und eine längere Wartezeit in Kauf nehmen, können auch bei den Kellnern bestellen. Aber mit Bargeld zu zahlen könnte problematisch werden, da sie vielleicht nicht genug oder passendes Wechselgeld haben. Dann irgendwann doch wie alle Einheimischen alles mit dem Smartphone erledigen.
Von armen Bauern zum Parkbewohner
Die Konferenz fand in einem Dorf statt, das etwa 80 Kilometer nördlich von der Stadt Chengdu entfernt liegt. Mit dem neuen Schnellzug erreicht man es in weniger als einer halben Stunde. Das letzte Stück fuhr ich mit dem Bus.
Als er durch den holzgerahmten Dorfeingang fuhr, fühlte es sich für einen Moment an wie eine Reise durchs Alte Land: Links reihten sich Obstbäume in schöner Ordnung auf, während rechts Felder voller Raps und hin und wieder einige einfache Bauernhäuser zu sehen waren.
Im Vergleich zu vielen anderen Dörfern in China fiel mir besonders auf, dass dieses äußerst sauber war. Es war keine einzige Plastiktüte am Straßenrand zu sehen. Wenn man sich dem Dorfzentrum näherte, hatte man das Gefühl, in einem Park zu sein.
Staatsform: Volksrepublik, kommunistisches Einparteiensystem
Hauptstadt: Peking
Größe: 9,6 Mio. km², viertgrößtes Land der Erde
Einwohner: 1,4 Milliarden
Religionen:
- 58,5% konfessionslos
- 17,5% Chinesische Volksreligionen
- 6,2% Buddhisten
- 4,4% Daoisten
- 1,9% Protestanten
- 1,7% Muslime
- 0,75% Katholiken
- 9,4% andere
Tatsächlich handelte es sich um einen Dorf-Themenpark, der durch staatlichen Zuschuss, die private Investition eines Architekturbüros und die Kommunalverwaltung gestaltet wurde. Es ist eine von den vielen Initiativen im Rahmen des nationalen Projektes „Wiederbelebung der ländlichen Räume“.
Ehemalige Hühner- und Schweineställe sowie Gutshäuser wurden als Übernachtungsmöglichkeiten, Cafés, Teehäuser, Handwerkstätten oder Konferenzräume benutzt; Felder wurden zusammengelegt und mit Hilfe von Agrarexperten bebaut; alte Baumaterialien wurden für neue Bauten wiederverwendet. Bauern können von der Verpachtung ihres Feldes profitieren.
Jeder volljährige Dorfbewohner erhält zudem jährlich eine Dividende von etwa 400 Euro. Wer im Themenpark mitarbeitet, verdient monatlich mindestens umgerechnet etwa 250 Euro, zuzüglich der Sozialleistungen und der Kosten für die Krankenkasse. Die meisten jungen Leute ziehen immer noch in die großen Städte, um dort zu arbeiten, da sie dort mehr als das Doppelte verdienen können – aber dort haben sie auch mehr Ausgaben.
Für die Menschen, die das Dorf nicht verlassen möchten oder können, stellt das Leben und Arbeiten in diesem Themenpark jedoch eine gute Alternative dar. Vielleicht, so sagte mir eine Reinigungsmitarbeiterin, gibt es hier irgendwann auch interessante Jobs für ihren Sohn, sodass er in ihrer Nähe leben kann. Sie glaubt fest daran, dass ihr Leben Jahr für Jahr besser wird.
Für Millionen Menschen auf dem Land ist das Leben durch die Einführung der staatlichen Versorgungssysteme, die es zuvor nur in den Städten gab, wahrhaftig besser geworden. Da die meisten Menschen nicht politisch sind, stellt kaum einer die Frage nach dem politischen System. Für sie persönlich gibt es allen Grund, weiter Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu haben.
Beste Bedingungen für Start-ups
Die zeigt sich auch in einem ganz anderen Bereich: Auf der Konferenz habe ich drei junge Blockchain-Unternehmer kennengelernt – gerade mal Anfang 20. Ihr Start-up nennt sich „Web3 Research Institute für Asien, Afrika und Lateinamerika (die dritte Welt)“.
Sie sind überzeugt, dass diese drei Kontinente die nächsten Wirtschaftswunderorte sein werden – mit Hilfe von „Web3“: dezentralisierten digitalen Technologien und Anwendungen wie Blockchain und Kryptowährungen, wo Daten nicht mehr einzelnen großen Konzernen gehören. Die Hoffnung: Diese Technologien werden den Individuen mehr Gestaltungsmöglichkeiten und angesichts von Inflation auch Schutz vor Korruption bieten in politisch beschränkten und instabilen Ländern.
Außer in China. Denn China erlaubt Kryptowährungen nicht. Aber es unterstützt talentierte Gründer, die sich damit befassen. Die drei jungen Unternehmer sprechen von geradezu traumhaften Bedingungen: Wer mit seinen Ideen überzeugt, bekommt für die Gründungsphase nicht nur Bürofläche mit allen Infrastrukturen umsonst, sondern auch steuerliche Vorteile und staatliche Fördergelder. Europa sei wegen seiner sehr strengen Gesetze für sie nicht interessant.
Gegenüber einer Skeptikerin wie mich erwidern die Jungs einstimmig: „Wenn man an die Zukunft der Milliarden Menschen in Asien, Afrika und Lateinamerika glaubt, werden wir erfolgreich sein.“ Ich spüre, dass dieser Satz nicht nur ein Slogan ist. Daran machen sie ihre Hoffnung für ihre eigene Zukunft fest.
Mit Selbstvertrauen in die Zukunft
Nach den neuesten Statistiken liegt die Arbeitslosenquote bei jungen Menschen im Alter von 16 bis 24 Jahren bei fast 20 Prozent, was mehr als zwölf Millionen Menschen entspricht. Die tatsächliche Zahl könnte sogar noch höher sein. Es handelt sich um die höchste Arbeitslosigkeit in dieser Altersgruppe seit 2018.
Während einige meiner Sinologen-Freunde in Deutschland die aktuelle Situation mit der spannungsgeladenen Zeit von 1989 vergleichen, betrachten chinesische Soziologen die Zahl nicht als Treibstoff für politische Unruhen.
Während in den 1980er Jahren Amerika und seine Demokratie das Vorbild für junge chinesische Liberale war, betrachten die heutigen jungen Chinesen Amerika und den Westen weitaus kritischer. Gleichzeitig gehen sie viel pragmatischer mit den gesellschaftlichen und politischen Herausforderungen in ihrem Land um. Bildungsniveau und -qualität sind im Vergleich zu vor 20 Jahren viel besser geworden.
Haifen Nan, geboren 1981, hat in Nanjing, China, Journalismus und Kommunikation studiert und an der RWTH Aachen einen Master in Medieninformatik gemacht. Derzeit arbeitet sie an ihrer Dissertation. Sie schreibt unter anderem für Duan.Media in Hongkong und die chinesische Zeitung Yangtze Evening. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Deutsch-Chinesischen Mediennetzwerks von Journalisten, die eine vorurteilsfreie Berichterstattung über ihre Länder fördern wollen. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg.
Für die dreitägige Konferenz hat der Veranstalter zum Beispiel über 30 Studenten als freiwillige Helfer engagiert. Die meisten von ihnen machen einen Bachelor in den Fächern Englisch oder Außenhandel an einer örtlichen Fachhochschule und stammen aus Bauernfamilien oder kleinen Städten. Ich war überrascht von ihrem ausgezeichneten Englisch, das die Hälfte meiner Kommilitonen an der Eliteuniversität vor 20 Jahren nicht beherrschte.
Als ich eine Gruppe von den Helfern nach ihrer Meinung zur aktuellen Arbeitslosigkeit fragte, schauten sie sich zunächst gegenseitig an und lachten. Die meisten von ihnen sagten, dass sie keine Eile haben, sofort einen Job zu finden.
„Fähige Personen finden immer Arbeit. Wenn ich mich jetzt gut vorbereite, werde ich einen guten Job bekommen“, sagte eine Studentin. Ihre Antwort mag wie ein Motivationsslogan klingen, aber eine andere Statistik zeigt, dass in China bis 2025 mehr als 29 Millionen qualifizierte Arbeitskräfte in den zehn Schlüsselindustrien gebraucht werden.
Gott sorgt für Wachstum
Meine letzte Nacht in Peking verbrachte ich bei einer meiner engsten Freundinnen. Sie entschied sich dafür, ihr profitables Geschäft als Agentin für russische Gemälde aufzugeben, nachdem sie unfreiwillig an einer kurzen Missionsreise in einer der ärmsten Regionen Chinas teilgenommen hatte. Sie war zutiefst beeindruckt von der Wirkung des Wortes Gottes auf die Menschen dort. Die Einheimischen im Liangshan-Gebirge nahmen den Glauben sofort an – buchstäblich – und antworteten begeistert, dass sie an Gott glauben würden, wenn er wahr ist und sie über alles liebt.
Kurz vor ihrer Reise bezeichnete ich sie noch als „Chor-Christin“, da sie Christin geworden war, nur weil ihr die Kirchenlieder gefielen. Doch danach absolvierte sie fünf Jahre lang ein Teilzeitstudium in Theologie und wurde während der Pandemie Pastorin.
Gerade als sie sich entschied, Theologie zu studieren, wurden unserer Gemeinde in Peking immer mehr Beschränkungen auferlegt. Der Gottesdienst, der in einem Theater mit 3.000 Plätzen stattfand, musste nach und nach in einen Büroraum mit einer maximalen Kapazität von 30 Personen verlegt werden.
Als ich in ihrer Wohnung ankam, die gleichzeitig als inoffizieller Gemeindetreffpunkt dient, sagte sie zu mir: „Ich habe gerade eine Nachricht erhalten, unser neues Büro wurde heute Nachmittag von einer Gruppe Polizisten durchsucht. Wir werden vielleicht ab nächster Woche gar keinen Ort für Gottesdienste haben.“
Sie sagte das mit einer so ruhigen Stimme, als wenn sie davon sprechen würde, dass sie keine Kaffeekapseln mehr hat. Während ich noch schockiert am Eingang stand, brachte sie mir Hausschuhe und sagte weiter: „Damit haben wir schon gerechnet, wir wussten nur nicht, dass es heute sein würde.“ Ich fragte: „Was macht ihr nun?“ – „Nichts, wir beten.“
Und sie fuhr fort: „Seit ihr das vorige Mal hier wart, wird unser Gemeindehaus immer kleiner, aber wir haben immer mehr neue Menschen im Namen Gottes getauft. Wir sind doch nur Diener Gottes, Gott selbst sorgt für das Wachstum. Fürchte dich nicht, glaube nur!“
Ihre Antwort auf die Beschränkung des christlichen Glaubens mag es sein, kompromissbereit und passiv zu sein. Aber tatsächlich ist die Zahl der Christen in China in den vergangenen Jahren rasant gestiegen – trotz aller Beschränkungen. Ich habe selbst erlebt, wie eine verdeckte nationale Sicherheitsbeamtin durch die langjährige Undercover-Arbeit in einer Gemeinde selbst Christin wurde.
In China sagen wir Christen oft: Wo die Möglichkeiten eines Menschen am Ende sind, fängt die Arbeit Gottes an. Auch wenn nicht alle Chinesen unseren Gott kennen: Gott kennt alle der 1,4 Milliarden Menschen in unserem Land und er hält ihnen Hoffnungen auf je ihre Art und Weise bereit. Allein das sollte eine gute Nachricht sein, dass es im autoritären China immer noch Hoffnung gibt.
Dieser Text ist in der aktuellen Ausgabe des Christlichen Medienmagazins PRO erschienen. Sie können das Heft kostenlos bestellen oder digital lesen.