PRO: Herr Inderthal, wie bewerten Sie als Rathaus-Chef die aktuelle Flüchtlingsdebatte?
Frank Inderthal: Als Bürgermeister und bekennender Christ befinde ich mich in einem Spannungsfeld. In so einem öffentlichen Amt soll ich vielen Ansprüchen gerecht werden. Das führt zwangsläufig zu Konfliktfeldern. Ich habe seit Beginn meiner Amtszeit mein Christsein nicht verhehlt. Auch in der aktuellen Debatte zur Unterbringung von Flüchtlingen habe ich zum einen mein Wertegerüst, zum anderen eine politische Aufgabe zu lösen.
Wie sieht die Lösung aus?
Die Bibel fordert uns auf, unseren Nächsten zu lieben. Außerdem gibt es im Alten Testament viele Beispiele, wie wir mit Fremdlingen umgehen sollen. Für mich ist ein Fremdling ein Mensch, der zu uns kommt, weil er Schutz sucht und unsere Gastfreundschaft braucht. Die Bibel lässt für mich da keinen Zweifel, dass in der aktuellen Situation unsere Gastfreundschaft und Zuwendung verlangt wird.
Was ist die wichtigste Lektion, die die Bibel im Umgang mit Fremdlingen mitgibt?
Ich habe die Frage mit unserem Pfarrer diskutiert. Ich wollte von ihm wissen, wie er reagieren würde, wenn er in den nächsten drei Monaten die Flüchtlingspolitik verantworten müsste und wüsste, dass dann Jesus wiederkommt. Sollten wir die Menschen mit diesem Wissen wirklich wieder wegschicken? Wie würde ich handeln, wenn Jesus neben mir steht oder hinterher nach meinem Verhalten fragt. Klebe ich wirklich an meinem Besitz. Ich komme zu dem vielleicht naiven Ergebnis, dass wir diesen Menschen helfen müssen. Dafür erfahren wir nicht immer die gewünschte Dankbarkeit. Es wird auch Menschen geben, die sich nicht an Gesetze halten und die wir zurückführen müssen. Die Bürger müssen merken, dass der Staat das ordentlich organisiert. Dann würde das die Situation beruhigen.
Welche Rolle nehmen Sie als Bürgermeister ein?
Ich möchte aus meinem Selbstverständnis als Christ gerne alles tun, um diese Menschen aufzunehmen und willkommen zu heißen. Die Entscheidung, ob und wo wir Flüchtlinge unterbringen, liegt aber in der Hand der politischen Gremien. Da muss ich als Bürgermeister die Menschen mitnehmen, mir ihre Ängste anhören und versuchen, sie zu überzeugen. Weil viele nicht meine christliche Perspektive haben, braucht es andere Argumente.
Können Sie Beispiele nennen?
Unsere Kommune hat bisher keine schlechten Erfahrungen gemacht mit Menschen, die zu uns gekommen sind. Nach dem Krieg waren es die Heimatvertriebenen und später die Gastarbeiter, die gut integriert sind. Als 2016 ganz viele Geflüchtete nach Solms kamen, haben sich viele Schreckensszenarien nicht bewahrheitet. In unseren Unterkünften gab es keine Vorfälle. Das hilft natürlich, wenn wir aktuell über die Unterbringung von 200 Menschen reden.
Wie kann eine gute Integration trotzdem gelingen?
Es wäre mir natürlich lieber gewesen, wenn die Menschen leere Wohnungen zur Verfügung gestellt hätten. Deswegen ist die jetzige Lösung sicher nicht die beste Wahl für eine gelingende Integration. Wir haben einen Standort gefunden, der nur wenige Nachbarn hat und gut mit dem öffentlichen Nahverkehr erreichbar ist. Die Menschen kommen ja hierher, weil wir in unserer Gesellschaft bestimmte Werte haben. Diese sind stark durch die Bibel und das christliche Menschenbild geprägt. Wenn jetzt Menschen kommen, die diese Werte infrage stellen, sollten wir Christen dazu stehen. Wir müssen uns fragen, was wir tun können, damit das gelingt.
Ist irgendwann eine Obergrenze für die Aufnahme erreicht?
In den Geschichten der Bibel hat sich die jüdische Gesellschaft, die Flüchtlinge aufgenommen hat, kaum verändert. Es liegt also ein Stück weit an uns, dass wir für die gesellschaftlichen Werte eintreten, die uns wichtig sind. Die Gesellschaft formuliert ihre Angst vor dem Fremden. Wenn es darum geht, für ihre Werte einzutreten, dann ist sie sehr träge. Natürlich besteht die Gefahr, dass die Stimmung irgendwann kippt, wenn zu viele Zuwanderer unsere Werte nicht teilen. Wir Christen sollten uns fragen, wie wir das christliche Wertefundament erhalten können.
Ist auch eine Angst spürbar, gegenüber den Flüchtlingen zu kurz zu kommen?
Ich höre immer wieder, dass sich Menschen benachteiligt fühlen. Manche haben eine medizinische Leistung nicht bekommen, die Flüchtlinge bekommen haben. Da spüre ich diese Angst, zu kurz zu kommen. Andere fürchten, dass sich ihre Kinder nicht mehr frei auf der Straße bewegen können oder dass ihre Frauen belästigt werden. Natürlich werden solche Fälle medial immer wieder aufgegriffen, aber nicht nur mit Ausländern. Das wird gerne ausgeblendet. Da ist dann fast jedes Argument recht, um den Standort abzulehnen. Die Menschen sind nicht grundsätzlich gegen eine solche Unterkunft, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür.
Mit welchen Gefühlen haben Sie als Bürgermeister auf den Migrationsgipfel geschaut?
Als Bürgermeister muss ich die Gesetze einhalten und die Menschen unterbringen. Natürlich hoffe ich, dass Bund und Land die kommunalen Aufwendungen bezahlen, damit wir andere kommunale Aufgaben nicht einschränken müssen. Wir wissen vor Ort aber auch, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann und dass vielleicht Förderprogramme gestrichen werden oder es zu anderen Einschnitten kommt. Es wird auch gefordert, dass der Bund die Flüchtlingsströme stoppen muss. Ich kann schlecht beurteilen, ob Lösungen wie in Österreich auch bei uns möglich sind. Kommunen können leicht fordern, dass der Bund die Flüchtlinge besser verteilt. Die Grenzen zu schließen, ist für mich der falsche Weg. Die Forderung ist vielleicht nachvollziehbar. Aber es ist nicht realistisch, dass wir den freizügigen Handel dafür aufgeben. Zudem gibt es im Grundgesetz nicht umsonst das Asylrecht. Das darf ich nicht infrage stellen, nur weil es den Staat viel Geld kostet.
Gibt es andere Möglichkeiten?
Ich wünsche mir, dass der Bund verstärkt schaut, wie er die Bedingungen schafft, damit diese Menschen hier arbeiten können. Der Großteil der Menschen, die nach Deutschland kommen, möchte hier arbeiten. Noch besser wäre es, wenn sie hier arbeiten müssen, auch um an unseren Sozialleistungen teilzuhaben. Der Arbeitsmarkt gibt das aus meiner Sicht her. Wenn ich mir die Alterspyramide anschaue, brauchen wir in Zukunft sehr viele Arbeitskräfte. Das sollte der Bund noch stärker in den Fokus nehmen – auch für die nächsten Generationen.
Was war das prägendste Erlebnis in der Debatte um den Standort in ihrer Kommune?
Am Morgen der Sitzung der Stadtverordneten, in der wir den Grundsatzbeschluss fassen wollten, hat die Polizei bei mir angerufen und mir mitgeteilt, dass unsere Sitzung am Abend abgesichert wird. In bestimmten Foren, die der Staatsschutz beobachtet, waren unsere Beratungen in den Fokus bestimmter rechtsgerichteter Organisationen gerückt. Es ist schon bedrückend, wenn die Sitzung eines Parlaments in einer so kleinen Kommune von bewaffneten Polizisten abgesichert wird.
So etwas sollte nicht der Normalfall sein…
Nein, wenn ehrenamtliche Politiker auf dem Weg zu einer Sitzung durch ein Spalier der Polizei und von schwarz gekleideten Menschen hindurchgehen müssen, ist das befremdlich. Als Bürgermeister werde ich gut dafür bezahlt und muss das verkraften. Aber als ehrenamtlicher Politiker unter solchen Umständen abzustimmen, ist nicht leicht.
Wie lange wird das Thema noch die Politik beschäftigen?
Für dieses Jahr rechnen die Experten für August mit einem Höchststand der Zahlen. Vermutlich wird das Thema also alle anderen politischen Themen überlagern. Deswegen werden Land und Bund andere Lösungen anbieten müssen, indem sie mehr Menschen in eigenen Liegenschaften unterbringt und diese Flüchtlingswelle bewältigt. Die Flüchtlinge sprechen ja auch mit ihren Angehörigen in der Heimat, ob sich die Erwartungen erfüllen oder nicht. Wenn das Ergebnis negativ ausfällt, wird sich das natürlich auf die Zahlen auswirken. Darüber hinaus gibt es klimatische Veränderungen, die sich nicht wegdiskutieren lassen. Es geht in Zukunft also nicht nur um Krieg und politische Verfolgung, wenn Menschen fliehen.
Wenn Sie sich etwas wünschen dürften in der Flüchtlings-Thematik. Was wäre das?
Ich wünsche mir, dass die Menschen sofort arbeiten können. Wir bräuchten besser sogar ein politisches Instrument, dass sie arbeiten müssen. Damit ließen sich viele Probleme lösen. Darüber hinaus wünsche ich mir von uns allen die Bereitschaft, unseren Wohlstand zu teilen.
Vielen Dank für das Gespräch!