„Wir schulden unseren Kindern viel“, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach am 21. April in einer Grundsatzdebatte im Bundestag. Eine Aussage, die zu erbosten Zwischenrufen vonseiten der AfD und Applaus aus seiner SPD-Fraktion führten. Lauterbach erklärte, dass viele Kinder und Jugendliche bis heute unter psychischen Störungen litten. Sie hätten am meisten Opfer während der Pandemie erbracht. Außerdem räumte Lauterbach ein, dass „die Maßnahmen zum Teil zu streng waren“.
Hintergrund der Debatte war der Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und Jugendliche beschäftigt hat und belegt: Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat aufgrund der Corona-Maßnahmen massiv Schaden genommen.
Demnach leiden insgesamt 70 Prozent der Kinder und Jugendlichen bis heute unter den Nachwirkungen der Corona-Maßnahmen.
Außerdem wiesen Kinder während der Schulschließungen bis zu 75 Prozent häufiger Depressionssymptome auf als vor der Pandemie. Im Zeitraum ohne Schulschließungen erhöhten sich solche Symptome um 27 Prozent. Die allgemeine Gesundheit hat sich um 15 Prozent verschlechtert.
Vereinsamung, Isolation, Angst
Zudem haben laut dem Bericht viele Kinder und Jugendliche nachgewiesene Lernrückstände. Diese führen für viele Betroffene nun zu erhöhtem Leistungsdruck, weil die Rückstände aufgeholt werden müssen.
Der Bericht erwähnt weiterhin Vereinsamung, Isolation, Angst und psychische Belastungen als negative Folgen der Pandemie. Auch die Entwicklung sozialer Kompetenzen sei vielfach eingeschränkt gewesen.
Kita-Schließungen unnötig
Mit ähnlichen Belastungen hatten auch Kita-Kinder während der Pandemie zu kämpfen. Das zeigt eine Studie des Deutschen Jugendinstituts vom Dezember 2022. Diese kommt außerdem zum Schluss, dass Kita-Schließungen unnötig waren.
Gleiches gestand Lauterbach nach Veröffentlichung der Studie ein: „Das Schließen von Kitas ist definitiv medizinisch nicht angemessen und wäre auch in dem Umfang, wie wir es damals gemacht haben, nach heutigem Wissen nicht nötig gewesen.“
Politiker entschuldigen sich und fordern Aufarbeitung
Doch nicht erst seit der aktuellen Bundestagsdebatte von vergangener Woche weisen Verantwortungstragende während der Pandemie auf eigene Fehler hin. Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn sagte im PRO-Interview, dass er vor allem Familien mit Kindern um Verzeihung bitten müsste.
In der Bundestagsdebatte äußerte sich auch die CDU-Politikerin Mareike Lotte Wulf, die Mitglied im Familienausschuss ist, selbstkritisch. Zwar sei „eine pauschale Verurteilung der damals getroffenen, höchst schwierigen Abwägung mit dem Wissen von heute zu einfach“, dennoch müsse man sich den Folgen der Entscheidungen ehrlich stellen.
Corona-Maßnahmen an Schulen
Insgesamt waren Schulen in Deutschland zwischen Januar 2020 und Mai 2021 insgesamt 74 Tage vollständig und 109 Tage teilweise geschlossen. Das ergab eine Untersuchung der OECD. Je nach regionaler Inzidenz gab es weitere Schulschließungen. Zudem musste der Schulbetrieb an den restlichen Tagen mit Maskenpflicht in Schulzimmern oder Quarantänepflicht bei Infektion durchgeführt werden.
Klarer wurde einige Tage zuvor der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung, Andreas Gassen, als er davon sprach, dass „wir uns mit den langen unnötigen Schulschließungen an unseren Kindern versündigt haben.“ Deswegen fordere er eine Aufarbeitung der Maßnahmen, auch um Lehren für künftige Pandemien ziehen zu können.
Genau dafür plädiert auch der interministerielle Bericht und weist zudem darauf hin, dass viele Kinder und Jugendliche bereits vor der Pandemie bessere Unterstützungsangebote benötigt hätten. Denn die sozialen Systeme „seien teilweise schon vor Ausbruch der Pandemie kaum in der Lage gewesen, auf psychosoziale Beeinträchtigungen junger Menschen zeitnah zu reagieren“.