40 Tage fasten: Ode an die Speise

Unser Autor hat 40 Tage auf Essen verzichtet, obwohl er Essen liebt. Was macht das mit einem?
Von Nicolai Franz

Ich habe seit 40 Tagen nichts gegessen. Ein paar Kalorien habe ich schon zu mir genommen. Im Schnitt ein kleines Glas Obstsaft, etwas Brühe (in der manchmal sogar Kräuter herumschwammen), Kaffee mit Milch und hin und wieder etwas Buttermilch (aus Angst, ich könnte zu viele Muskeln verlieren). Sonst: nada.

Die ersten paar Tage waren schon schwer, dann wurde es leichter. Der Körper stellte sich um auf den Fettstoffwechsel, die Ketose. Das Hungergefühl verflog, ich hatte kaum weniger Energie als zu den Zeiten, in denen ich noch gegessen habe (die scheinen mir gerade sehr weit weg). Aber eines blieb bis zum Ende: Der Appetit.

Fasten ist mehr als Hungern. Sondern bewusster Verzicht, ursprünglich auf Nahrungsaufnahme, um sich auf das Wesentliche zu fokussieren, sich auf Gott neu auszurichten. Vielleicht auch, gerade in der Passionszeit, um sich auf das Leiden von Jesus Christus zu besinnen, statt Riesenfeste zu feiern.

Was passiert im Körper?

Es gibt Menschen, die in Fastenzeiten besondere geistliche Erfahrungen machen: Sie berichten von neuen Erkenntnissen, sie haben in einer schwierigen Phase ihres Lebens endlich Frieden über eine bestimmte Entscheidung, oder sie schaffen es, sich aus dem Alltagstrubel herauszuziehen, sich also neu zu erden. Und mit neuer Kraft durchstarten zu können. All das habe ich nicht erlebt.

Aber das hat vielleicht auch damit zu tun, dass mein Alltag ungebremst weiterging. Jeden Tag Nachrichtenthemen, Konferenzen, schreiben, lesen, ich startete mit Johanna Klöpper sogar einen neuen Podcast (Hörtipp: PRO und Kontra). In der letzten sprachen wir über einen guten Umgang mit sozialen Medien.

Dazu wertvolle Zeit mit der Familie verbringen und die Kinder versorgen, in der Gemeinde engagieren, was eben alles so dazu gehört. Immer wieder fragten mich Leute, wie ich das denn schaffe, wenn ich doch nichts esse. Die Antwort: Unser Körper kann das eben.

Gott hat in uns Mechanismen hineingelegt, die es uns erlauben, über längere Zeit nichts zu essen und trotzdem weiter Leistung zu bringen. Solange wir genug Fettpolster haben, aus denen wir mithilfe von Ketonkörpern Energie gewinnen. Und von den Fettpolstern habe ich immer noch etwas, auch wenn 13 Kilo weniger auf der Waage stehen.* Drei tägliche Mahlzeiten plus Snacks gibt es eben noch nicht so furchtbar lange in der Geschichte der Menschheit. Wir sind darauf vorbereitet, auch einmal eine Zeitlang nicht zu essen.

Es wäre allerdings maßlos übertrieben, wenn ich sagen würde, mir sei der Essensverzicht leicht gefallen. Im Gegenteil. Ich liebe Essen. Essen ist etwas Wunderbares. Das war mir auch schon vorher klar. Aber nach diesen vierzig Tagen kann ich sagen, dass ich Essen mehr wertschätze, als ich es jemals getan habe.

Es zeigte sich an kleinen Dingen. Wenn die Kinder mal wieder etwas übrig gelassen hatten, versuchte ich noch stärker als vorher, alles zu retten. Übriggebliebenes Brot kann man nicht nur auffrischen, sondern auch mit verquirltem Ei anbraten, dazu Apfelmus und Zimt, ein bisschen Joghurt. Hm, lecker. So stellte ich es mir zumindest vor. Essen konnte ich diesen french toast ja nicht, aber meine sich verdunkelnden Erinnerungen wiesen deutlich in die Richtung „lecker“. Die Kinder sekundierten. Und der Duft auch.

Schinkenbrot, schön garniert Foto: PRO/Nicolai Franz
Leftover-Roggenmischbrot mit gekochtem Schinken vom Schwein, garniert mit Mayonnaise und Gurke julienne, italienischen Kräutern und Balsamicocreme, dazu Dattelhälften: Wie man Kindern Essensreste wieder schmackhaft machen kann.

Überhaupt habe ich mich oft dabei erwischt, wie ich am Essen schnupperte. Ob Kartoffelbrei mit Bratwurst und Salat, ein guter Käse oder der Lachs, in der Gusseisenpfanne angebraten und „gebraist“, also beim Braten immer wieder mit Butter übergossen: Das Aroma dieser wunderbaren Speisen löste bei mir Gelüste aus, die sich fast wie ein Vorgeschmack auf das Paradies anfühlten.

Ich liebe nicht nur Essen, sondern auch Kochen. Jetzt, da ich nichts aß, kochte ich eben für die Familie und blieb bei meiner Brühe. Sehr oft bat ich meine Frau oder die Kinder: „Probiere mal bitte davon und sag‘ mir, wie es dir schmeckt.“

40 Tage fasten: Freude, wenn es anderen schmeckt

Wenn das Essen gut ankam, war das für mich ein Fest. Zuletzt bei einem selbstgemachten Senf. Senfkörner, Zucker, Essig, ein paar Gewürze, alles in den Mörser – wow. Davon habe ich sogar selbst ein bisschen gekostet. Ein ganz kleines bisschen.

Je mehr ich fastete, desto konkreter wurden meine Pläne für meine Ernährung nach dem Fastenbrechen. Und desto mehr füllte sich unser Eisschrank. Süßigkeiten vermisse ich nicht. Aber ich gebe zu: Deftiges hat es mir angetan. Fleisch, Käse, Fisch, gutes Gemüse. Aber auch Roggenvollkornbrot mit Pflaumenmus, beides selbstgemacht.

Pflaumen im Kochtopf. 40 Tage fasten kann auch bedeuten, dass man Essen neu wertschätzt Foto: PRO/Nicolai Franz
Die Pflaumen kochen stundenlang mit Zucker zu Mus. Gewürze wie Zimt, Anis und Nelken steuern eine interessante Note bei.

Abends informierte ich mich im Bildungsfernsehen (Netflix) über die besten Zubereitungsarten von pulled pork, short ribs und brisket, auch ein mehr als 500 Seiten dickes Buch über Aromen und Gewürze leistete ich mir. Falls ich es durchbekomme, hoffe ich, ein bisschen mehr Bescheid zu wissen darüber, wie man Speisen kombinieren kann, um sie zu völlig neuen Geschmackserlebnissen zu verbinden.

40 Tage Fasten: Auch ärmere Menschen genießen Essen

Was mir bewusst wurde: Essen ist ein göttliches Geschenk. Selbst in ärmeren Gegenden dieser Welt wird gebraten und gekocht, fermentiert und gedünstet, geräuchert und gegrillt. Es würde genügen, wenn jeder von uns täglich eine abgepackte Ration von Kohlenhydraten, Proteinen und Eiweiß äße, dazu ein paar Nahrungsergänzungsmittel. Aber das tut niemand. Wir wollen genießen. Schmecken. Riechen. Fühlen. Essen ist also vor allem eins: Sinnlichkeit.

Roggenvollkornbrot Foto: PRO/Nicolai Franz
Selbstgemachtes Brot: Roggenvollkornmehl, Sauerteig, Salz, Wasser. Milchsäurebakterien verleihen dem Brot einen wunderbaren Geschmack, die Hefepilze lockern den Teig auf. Insgesamt braucht es etwa 24 Stunden.

Und ein riesiges Geschenk. Jeden Tag sage ich meinen Kindern, wie wunderbar es ist, dass wir so viel Essen haben. Dass wir in einem so großen Überfluss leben, wie ihn noch nie zuvor eine Generation hatte. „Wir haben viel mehr als die Königinnen und Prinzessinnen im Mittelalter“, sage ich meinen Töchtern. Ein Grund, dankbar zu sein.

Pizza Napoletana Foto: PRO/Nicolai Franz
Der Versuch einer Pizza Napoletana aus dem Hochtemperaturgrill. Das Original wird im etwa 485 Grad heißen Holzofen binnen 90 Sekunden gebacken. In Neapel gilt der Grundsatz: Ein guter Pizzabäcker wird man nach etwa zehn Jahren Erfahrung.

Die Globalisierung wird viel gescholten, aber sie hat uns auch Tore zu anderen Essenskulturen geöffnet – und zu ganz neuen Geschmackserlebnissen. Früher wurden Kriege um Muskat geführt, heute geben wir gedankenlos eine Brise davon zum Blumenkohl. Dass wir heute so viel und so leckeres Essen haben, das ist meine Überzeugung, dürfen wir nie für eine Selbstverständlichkeit halten. Sondern für das, was es ist: Ein wunderbares Geschenk voller Sinnlichkeit und Genuss.

Rinderrippe, sous vide gegart Foto: PRO/Nicolai Franz
Fleisch von der Rinderrippe, sous vide bei etwa 58 Grad für 24 Stunden gegart und anschließend auf dem Grill scharf angeröstet. Das Ziel: Die Maillard-Reaktion, bei der durch hunderte chemische Prozesse wohlschmeckende Aromen entstehen.

Fertigessen: Spart Zeit, aber es nimmt uns auch etwas

Die Industrialisierung des Essens, die Fix-Produkte und Dönerbuden, die Fastfood-Ketten und die vielen verarbeiteten Lebensmittel („nur noch umrühren – fertig“) ersparen uns das Kochen, aber gesunde Ernährung ist etwas anderes. Dass wir heute fast alles zu fast jeder Zeit fertig kaufen können, sieht der Ernährungsexperte Harry Balzer als das Hauptproblem unserer Ernährung.

Brot mit Matjes, Rucola, Zwiebeln, Salatgurke, Paprika Foto: PRO/Nicolai Franz
Brot mit Matjes, Rucola, Zwiebeln, Salatgurke, Paprika: Ein Genuss.

In der absolut sehenswerten Netflix-Doku Cooked sagt er: Wenn jemand Lust darauf hat, abends einen Apfelkuchen, Kekse und Eis zu essen, solle er das gerne tun. „Ich habe nur eine Bitte: Mache alles davon selbst.“ Ein beeindruckender Gedanke, finde ich. Wir haben den Bezug zum Wert unseres Essens verloren, weil wir oft die Arbeit dahinter nicht mehr selbst erledigen.

Auch das hat etwas mit Wertschätzung unserer Gaben zu tun. Umso lieber stehe ich in der Küche und schnipple, hacke, schmore, würze. Essen ist etwas Wunderschönes, vom Einkaufen bis zum „Amen“ des Tischgebetes vor dampfenden Tellern.

Heute um 24 Uhr endet mein Verzicht. Nach christlicher Tradition müsste ich eigentlich bis zum Ostersonntag fasten, aber mehr als 40 Tage will ich dann doch nicht darben. Aber ich nehme mir vor, mir Zeit fürs Essen und dessen Zubereitung zu nehmen, statt ein fünfminütiges Abendessen im Stehen zu inhalieren, um ja keine Zeit zu verlieren.

Essen führt zusammen, und wer gemeinsam genießt, kann auch gemeinsam dankbar sein. Eine Kleinigkeit, die ich aber neu lernen will.

* Leiden Sie unter Essstörungen? Sprechen Sie mit anderen Menschen darüber. Das können Sie bei vielen Hilfsangeboten tun, zum Beispiel bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

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