„König hört auf“ heißt die Dokumentation, die Tilman König über seinen Vater drehte: Lothar König, Jugendpfarrer in Jena, der sich auch im Kampf gegen rechtsradikale Tendenzen in Thüringen engagierte und auch bundesweit für Schlagzeilen sorgte.
König begleitete seinen Vater in den letzten Monaten vor dessen Ruhestand mit der Kamera. Der Film, der Anfang April auf DVD erscheint, bringt dem Zuschauer Lothar König näher als bekannten politischen Aktivisten und engagierten Pfarrer, der auch im hohen Alter noch viel zu sagen hat. Und der genug Energie in sich trägt, dies auch zu tun.
Der evangelische Pfarrer war bereits in den 70er Jahren in der DDR politisch aktiv. Die Staatssicherheit beobachtete sein Treiben. Denn als er 1968 den Namen Dubček im Umlauf brachte, reichte das, um in den Augen der DDR-Führung als verdächtig zu gelten. Alexander Dubček war eine Leitfigur des Prager Frühlings. Nach 1990 kam König nach Jena, wo er als Stadtjugendpfarrer der Jungen Gemeinde vorstand. Sein vornehmlichstes Ziel: die Bekämpfung des wieder aufkommenden Rechtsradikalismus.
In seinem Leben hat er an so einigen Demos gegen Rechts teilgenommen. Königs Markenzeichen: ein zotteliger langer Rauschebart. Auf einer Demonstration gegen Neonazis im Jahr 2011 warf ihm die Polizei vor, über die Lautsprecheranlage seines Busses die „Massen aufgewiegelt“ zu haben.
König wurde angeklagt wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Landfriedensbruchs. Das Verfahren wurde 2014 eingestellt, der Geistliche musste ein Bußgeld von 3.000 Euro zahlen. „In jedem der sieben Anklagepunkten hat sich herausgestellt, dass die Polizisten gelogen haben“, sagt König im Dokumentarfilm. Er fügt hinzu: „Wie viele Menschen sitzen im Gefängnis, weil Polizisten gelogen haben?“
Gegen die schweigende Mehrheit
König erhielt Morddrohungen und wurde angegriffen. Bei einer Auseinandersetzung wurde er so schwer am Kopf verletzt, dass noch heute eine tiefe Narbe neben seinem Auge zu sehen ist. Die FAZ beschrieb König aufgrund eines Fotos von seinen Verletzungen damals als „Schmerzensmann, der nicht nur seine Wange, sondern seinen ganzen Schädel hinhält“.
„König hört auf“ ist das Porträt eines ungewöhnlichen Pfarrers. Stets voller Tatendrang, die nächste Veranstaltung gegen Rechtsradikale schon im Blick, immer eine Kippe im Mund oder zwischen den Fingern – so filmt sein Sohn Tilmann seinen Vater, der kurz davor ist, in den „Ruhestand“ zu gehen. Ein Wort, dem der Geistliche ebenso ratlos gegenübersteht wie dem Phänomen der „schweigenden Mehrheit“, die offenbar nichts gegen die Neonazis unternehmen will.
Schon 1998 warnte König die Sicherheitsbehörden vor einem rechtsradikalen Untergrund, also lange bevor das NSU-Trio enttarnt wurde. Doch er habe damals kaum Unterstützung erfahren, berichtet er, sondern nur Abwehr und die Behauptung, es gebe keine Nazis.
Als König über eine Kundgebung von Nazis im Jahr 2011 in Thüringen spricht, sagt er: „Die Nazis waren gar nicht viele.“ Aber die schweigende Mitte sei viel erschreckender. „Weil sie nicht Muh und nicht Mäh sagen, weil sie nur ihre Ruhe haben wollen. Und notfalls schlagen sie sich dann auf die Seite der Stärkeren.“
Am Lagerfeuer zur „Rüstzeit“ an Pfingsten spricht König kurz zu den Jugendlichen über die Bibel, und das, wie es seine Art ist, mit sehr einfachen Worten. „Geschichten aus dieser Welt von mehr als 10.000 Jahren Erfahrung; von Scheiße, Dingen, die falsch gelaufen sind, und Dingen, die gut gelaufen sind. Dieser Erfahrungsschatz ist einfach spitze.“
In einem Interview sagt König: „Auch ein Nazi ist ein Mensch, und ich habe nicht das Recht, dieses Leben kaputt zu machen. Dazu gehören auch Polizisten. Ich greife keinen Menschen an, ich werfe keine Steine.“
„Man kann kein Gold mit in den Himmel nehmen“
Bei einem Punk-Konzert in seiner Gemeinde predigt König dann von der Bühne herab zu den jungen Menschen, von denen die meisten Linke oder Punks, mindestens aber Alternative sind. „Das Volk, das im Finsteren wandelt, denen es dreckig geht, denen scheint ein großes Licht. Nicht den betuchten Bürgern. Sondern denen, die am Rande sind und manchmal nicht mehr wissen, wie es weitergeht. Denen scheint ein großes Licht.“
Dann lässt es sich der 66-Jährige nicht nehmen, während des Konzerts von der Bühne zu springen und sich von den Zuschauern tragen zu lassen. Früher habe er oft Nächte durchgemacht, lacht König. Heute mache ihm seine Hüfte zu schaffen.
Bei seinem Abschiedsgottesdienst 2019 sprach König unter Anwesenheit des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow davon, wie er sich das Himmelreich vorstellt. „Kein Gold, Silber, keine zwei Hemden“ könne man mitnehmen, so viel sei sicher. „Es begegnet ein Mensch einem anderen Menschen“, sagt König. „Da wird nicht gefragt, ob es ein Punk ist oder ob er verlottert aussieht. Da gibt es keine Ehrentitel oder viel Geld in den Taschen. All das schadet nur.“
Der Film „König hört auf“ feierte seine Weltpremiere im vergangenen Herbst auf dem DOK-Filmfestival in Leipzig und wurde dort mit dem Preis der Stiftung Friedliche Revolution und dem ver.di-Preis für Solidarität, Menschlichkeit und Fairness ausgezeichnet. Am 7. April 2023 erscheint „König hört auf“ auf DVD und digital.