Lili ist glücklich, und Simon ist es auch. Die beiden Kinder genießen den Augenblick, sind ganz bei sich und nah dran an einem Gefährten, der spürt, was gut und richtig ist. Bei Lili ist es ein Hund, bei Simon ein Pferd.
Das in dieser Begegnung Erlebte bleibt. Denn die Vertrautheit zwischen kleinem Menschen und doch recht großem Tier hat die Siegener Fotografin Tanja Weiß festhalten können. Und das ist gut so, weil nun auch andere teilhaben können an dieser hellen Freude der Kinder, sich vielleicht anstecken lassen von ihrer Authentizität, ihrer enormen Präsenz im Hier und Jetzt.
Kinder sind Kinder. Mit und ohne Down-Syndrom. Das macht für Tanja Weiß keinen Unterschied. Weder in der Wahrnehmung noch in der fotografischen Herangehensweise. Und dennoch sei bei den Kindern mit Trisomie 21 eine Wahrhaftigkeit zu beobachten, die Menschen ohne diese Chromosomen-Variante mitunter fehle.
Genau das möchte sie zeigen – und stellt ihre Porträts von Kindern mit dem Down-Syndrom unter dem Titel „Das Leben ist bunt“ aus. Bis zum 29. Juni 2023 sind die Fotografien im Rathaus der südwestfälischen Gemeinde Wenden zu sehen.
Es war eine Fügung, die Tanja Weiß mit dem Fotografieren von Kindern mit dem Down-Syndrom beginnen ließ. „Bei einem Hundeshooting im Tierheim kam eine Familie auf mich zu, die Bilder von ihren Kindern machen lassen wollte. Beide Kinder hatten das Down-Syndrom. Wir haben dann spontan einige Fotos gemacht, und so entstand auch das Bild von Lili und ihrem Hund Lara. Im Nachgang hat mich das sehr berührt und auch beschäftigt“, erzählt die Fotografin.
In einem Umfeld des Halbwissens
Der Gedanke, mit diesem Thema tatsächlich etwas zu bewegen, ließ sie nicht los. Mit Hilfe von Lilis Mutter suchte und fand sie weitere Familien, deren Kinder das Down-Syndrom haben. Es entstand eine Fotoserie, bei der Tanja Weiß immer wieder erlebte, wie immens dankbar die Eltern dafür waren, „dass jemand ihr Kind sichtbar macht“. Ein Kind, das eine ganz andere Priorität ins eigene Leben bringen kann, ein besonderes Gefühl für vermeintliche Kleinigkeiten, ein Kind mit Potenzial.
Down-Syndrom
Die genetischen Informationen eines Menschen sind in der DNA verschlüsselt. Diese befindet sich im Zellkern jeder Zelle in den Chromosomen. Davon gibt es 23 Paare, insgesamt also 46. Tritt eines der Chromosomen dreimal statt paarweise auf, spricht man von einer Trisomie. Trisomie 21 bedeutet, ein Mensch hat dreimal das 21. Chromosom. Die spezifischen Merkmale, die bei einem Menschen damit verbunden sind, sind unter dem Namen Down-Syndrom bekannt, nach dem englischen Arzt Jon Langdon Down, der dieses Syndrom 1866 erstmals umfassend beobachtete und beschrieb. Die genetische Ursache wurde erst 1959 bekannt. Die Folgen des Down-Syndroms können unterschiedlich stark ausgeprägt sein und beziehen sich unter anderem auf Körperbau, Aussehen, Entwicklungstempo oder die Anfälligkeit für bestimmte Erkrankungen. Weitere Informationen stellt das Deutsche Downsyndrom-Infocenter bereit: ds-infocenter.de
Tanja Weiß möchte mit ihren Arbeiten deutlich machen, „wie lebensfroh diese Kinder sind, welche individuellen Persönlichkeiten sie haben“. Dafür brauche es kaum Worte. Die Bilder sprächen ihre eigene, unmittelbare Sprache in einem gesellschaftlichen Umfeld, wo so viel Halbwissen, so viele auch bewertende Halbwahrheiten zu hören und zu lesen seien.
Die Siegener Fotografin lässt die Kinder selbst erzählen. Zeigt ihren wachen, neugierigen Blick auf die Welt, die ungestüm-zärtliche Wucht beim Laufen, Spielen, Toben, ihr großes Zutrauen zu sich selbst und ihrem Gegenüber. Hier ist nichts beliebig, nichts uniform, sondern individuell, sehr besonders. Wegschauen ist beim Betrachten der Bilder unmöglich; der Blick bleibt hängen, stößt unwillkürlich etwas an.
Sich sehen lassen und selbst annehmen
Wenn Tanja Weiß Kinder fotografiert, dann gibt sie ihnen viel Raum – auf dem Spielplatz, auf dem Bauernhof, am Strand. Das Teleobjektiv hilft ihr, diese Ungezwungenheit nicht zu stören und dennoch auf den Bildern Nähe entstehen zu lassen. Ihre Perspektive ist immer die auf Augenhöhe; ihre Position kann dann auch mal die „auf dem Bauch“ sein.
Bei ihrer Porträtfotografie versucht Tanja Weiß grundsätzlich, ihrem Gegenüber auf die Spur kommen. Und das am liebsten draußen, an der frischen Luft, in der freien Natur, beim Gehen, beim Reden. Dafür nimmt sie sich Zeit, eine Stunde oder auch mehr. Es ist ihr wichtig, dass ein Shooting in einer lockeren, ungezwungenen Atmosphäre stattfindet. „Das ist dann wie ein langes Gespräch, es entsteht eine Beziehung.“
Die Fotografin möchte Menschen ermutigen, sich sehen, sich ansehen zu lassen, sich selbst wohlwollend betrachten zu können und sich damit auch selbst anzunehmen. „Das sind wir Erwachsenen nicht gewohnt, uns so zu zeigen und auch so zu sehen, wie wir wirklich sind“, sagt sie auch mit Bezug darauf, wie gut es tut, sich gesehen zu wissen – und zwar unverstellt, echt. Damit passt ihre Arbeit so stimmig auch zur Jahreslosung 2023, zu diesem tröstlichen „Du bist ein Gott, der mich sieht“.
Die ersten und letzten Bilder eines Menschen
Tanja Weiß nimmt Menschen in den Blick. Auch Menschenkinder, die nicht lebendig auf die Welt kommen oder gleich nach ihrer Geburt versterben: Sternenkinder, die sie, im Verbund mit über 600 weiteren ehrenamtlich tätigen Fotografinnen und Fotografen, auf den Wunsch der Eltern hin porträtiert.
Behutsam und respektvoll und mit dem eigenen Staunen darüber, „wie schön diese Kinder sind, wie fertig gestaltet“, selbst wenn kaum zwei Dutzend Wochen alt. Ihre Sternenkinder-Fotos seien oft die ersten und auch die letzten Bilder dieser Kleinen, eine bleibende Erinnerung von unschätzbarem Wert für die Eltern.
Tanja Weiß lebt im Siegener Stadtteil Obersetzen. Sie arbeitet hauptberuflich als Pflegefachkraft. Sie ist Stationsleitung in der Tagesklinik Netphen, einer psychotherapeutisch-psychiatrischen Klinik. Sie ist verheiratet und gehört zur Freien evangelischen Gemeinde Siegen-Fischbacherberg. Ehrenamtlich engagiert sie sich auch im Tierschutz. Ihre Liebe zur Fotografie hat sie mit ihrer Freude an den eigenen Katzen wiederentdeckt. Mehr unter: tanjaweissfotografie.myportfolio.com.
Dass sie sich vor ein paar Jahren bei der Stiftung Dein Sternenkind beworben habe, gründe auch auf dem mit ihrem christlichen Glauben verbundenen Selbstverständnis, „etwas zu tun, wo es nicht um mich selbst geht“. Sie wolle mit ihrem Vermögen, mit dem, was sie könne und auch liebe, versuchen, „die Welt ein kleines Stück besser machen“. Als ihr die Sternenkind-Initiative begegnet sei, habe es sie von Anfang an gepackt. „Ich hatte das Gefühl, das lässt mir keine Ruhe.“
Und so ist sie seit einiger Zeit schon angeschlossen an das Alarmsystem des Sternenkind-Netzwerks. Entscheidend für einen Einsatz sind die Faktoren Nähe und Zeit und auch die eigene Disposition. Es sei immer ein Kann, kein Muss, doch der Bedarf sei enorm. „2022 gab es bundesweit über 4000 Einsätze“, berichtet die Fotografin. Sie trage mit dazu bei, dass die Sternenkind-Familien aus einer Tabu-Zone geholt würden. Auch diese Eltern hätten ein großes Bedürfnis: gesehen zu werden, angesehen zu sein.
Von: Claudia Irle-Utsch