In der Debatte über bezahlte Aufträge der Bundesregierung an Journalisten fordert der Medienwissenschaftler Volker Lilienthal eine systemische Analyse statt individueller Fallbetrachtungen. Journalisten, aber auch deren Vorgesetzte und die Verantwortlichen für Compliance-Richtlinien in Medienunternehmen müssten genau bedenken, unter welchen Bedingungen entsprechende Nebentätigkeiten statthaft seien, schreibt Lilienthal, der die Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Qualitätsjournalismus an der Uni Hamburg innehat, in einem Beitrag für den Fachdienst epd medien.
„Es geht um nichts weniger als journalistische Mitwirkung an der Selbstdarstellung der Bundesregierung“, kritisiert Lilienthal. Da es „das höchste und wichtigste Mandat von Journalisten“ sei, Regierungshandeln zu kontrollieren, könne es „keinen Rabatt auf diese Distanznorm geben“.
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Lilienthal: „Blamage für den Journalismus“
Durch eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion war Anfang März bekannt geworden, in welchem Umfang Bundesregierung und Bundesbehörden in den vergangenen Jahren bezahlte Aufträge an Journalistinnen und Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und privater Medien vergeben haben. Bundesministerien und Bundesbehörden zahlten demnach von 2018 bis Anfang 2023 rund 1,47 Millionen Euro an 197 Journalisten und Journalistinnen.
Der Staat habe „extrem gut“ gezahlt, schreibt Lilienthal. So hätten beim Wirtschaftsministerium 24 Auftragnehmer aus dem Umfeld des öffentlich-rechtlichen Rundfunks pro Leistung durchschnittlich 5.962 Euro erhalten. „Die Größenordnungen der Honorare passen zur Welt der Auftragskommunikation, im Journalismus sind sie unüblich.“ Der Fall sei nicht nur eine Blamage für den Journalismus, sondern ebenso für die regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit, kritisiert der Wissenschaftler: „Wären deren Akteure professionell, hätten sie einen Blick auf die Rollenkonflikte geworfen, in die man Journalisten mit bezahlten Regierungsaufträgen bringt.“
DJV: Keine Einwände gegen Medientraining
Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalisten-Verband sagte dazu auf PRO-Anfrage in der vergangenen Woche: „Wenn, wie im Fall Zervakis, sowohl der Auftraggeber als auch die Journalistin zunächst jegliche Antwort verweigern, schadet das der Glaubwürdigkeit der Journalisten und der Medien.“ Gegen die angesprochenen Medientrainings sei aber nichts einzuwenden. „Kein Fernsehzuschauer will einen stammelnden Spitzenpolitiker sehen, dessen Sätze von ähs und öhs nur so wimmeln.“ Wenn es um das Medium Fernsehen gehe, müssten die Trainer „schon Fernsehjournalisten sein, die das Medium kennen“, erklärte Zörner.
Danach gefragt, ob der DJV einen ethischen Konflikt darin erkennt, wenn Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Vertreter der Exekutive darin schulen, wie sie möglichst geschickt mit kritischen Fragen der Kollegen der „vierten Gewalt“ umgehen, erklärte der DJV-Sprecher: „Wenn Journalistinnen und Journalisten es nicht schaffen, einen Politiker in einem kritischen Interview zu ‚knacken‘, haben sie ihren Job nicht gelernt.“
Fraktionen weisen Vorwurf von „Staatsjournalismus“ zurück
In einer Aktuellen Stunde des Bundestags am Donnerstag haben die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und FDP sowie die Union die Beauftragung von Journalisten durch staatliche Stellen verteidigt. Auftrag und Bezahlung müssten aber transparent sein, erklärten Abgeordnete aller Fraktionen. Die Unabhängigkeit der Berichterstattung müsse sichergestellt sein. Es sei immer im Einzelfall zu prüfen, ob dies erfüllt sei. Verstößen müsse nachgegangen werden. Es gelte das Gebot der Staatsferne, insbesondere für die öffentlich-rechtlichen Medien.
Die AfD hatte die Aussprache unter dem Titel „Nein zum Staatsjournalismus – Geschäftsbeziehungen zwischen Bundesregierung und Journalisten beenden“ beantragt. Der kulturpolitische Sprecher der Fraktion, Marc Jongen, sagte, Regierung und Parteien züchteten sich durch solche Aufträge „willfährige Hofberichterstatter heran“. Den Journalisten warf Jongen vor, sich korrumpieren zu lassen.
Der Haushälter der FDP-Fraktion, Otto Fricke, regte an, einheitliche Regeln für die Beauftragung von Journalisten für die ganze Bundesregierung zu schaffen. Die medienpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Petra Sitte, sagte, die Politik müsse ihrerseits Distanz wahren. Es gehe nicht, dass sich Spitzenpolitiker ihre Gesprächspartner aussuchten. Sitte bezog sich damit auf ein Interview der früheren „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Die Zeitung taz hatte aufgedeckt, dass das Kanzleramt den Auftritt organisiert hatte.
Von: epd/Norbert Schäfer