Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat Zahlen über Angebote der Jugendarbeit während der Corona-Pandemie veröffentlicht. Die Corona-Pandemie habe „im Alltag von jungen Menschen tiefe Spuren hinterlassen“, lautet es in der Mitteilung vom Mittwoch.
Im zweiten Corona-Jahr 2021 nahmen demnach in Deutschland rund 4,4 Millionen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an öffentlich geförderten Angeboten der Jugendarbeit teil. Das waren nur etwa halb so viele junge Menschen (49 Prozent) wie vor der Pandemie 2019. Damals lag die Teilnehmerzahl noch bei rund 8,6 Millionen jungen Menschen. Gleichzeitig sank die Zahl der Angebote – wie etwa Ferienfreizeiten, Gruppenstunden oder Sportveranstaltungen – um knapp ein Drittel (32 Prozent) auf 106.700.
Auch die Zahl der Ehrenamtlichen in der Jugendarbeit ist demnach eingebrochen. 246.000 weniger Ehrenamtliche engagierten sich aktiv in der Jugendarbeit als vor der Krise. Das ist ein Rückgang um 44 Prozent. Damit verzeichnet die erst 2015 eingeführte, in zweijährlichen Abständen durchgeführte Statistik im zweiten Corona-Jahr 2021 einen historischen Tiefststand.
Problem: Zunahme psychischer Erkrankungen bei Jugendlichen
Die Theologin Judith Hildebrandt sieht in den Zahlen der amtlichen Statistik wichtige Hinweise für christliche Gemeinden und Kirchen. Ihrer Beobachtung nach hat auch die Jugendarbeit in Kirchen und Gemeinden durch die Einschränkungen des Lockdowns stark gelitten. Hildebrandt forscht als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Freien Theologischen Hochschule in Gießen zu missionarischer Kinder- und Jugendarbeit.
Während manche Gruppen nach der Aufhebung der Kontaktbeschränkungen hätten neu aufblühen können, habe die Jugendarbeit an vielen Orten starke Rückgänge zu verzeichnen – oder sei völlig zum Erliegen gekommen. „Angesichts der enormen Veränderungen und der Einschränkungen während der Pandemie werden Gemeinden nicht umhinkommen, Kindern und Jugendlichen viel mehr Beachtung, Zeit und Engagement zu widmen“, erklärt Hildebrandt auf Anfrage. Dabei könne die Verantwortung nicht – wie bisher häufig Praxis – den Mitarbeitern in der Kinder- und Jugendarbeit allein überlassen werden.
» „Gemeinden müssen nach Corona intensiv in nächste Generation investieren“
Eine Herausforderung für die Jugendarbeit sei die Zunahme an psychischen Erkrankungen von Jugendlichen. Der Anstieg sei bereits vor der Pandemie erkennbar gewesen. „Noch nie vorher in der Geschichte hat es so viele stationäre Behandlungen von Kindern und Jugendlichen aufgrund psychischer Erkrankungen gegeben“, erklärt Hildebrandt und verweist auf den DAK Report 2022.
Bei Jugendlichen (15 bis 17 Jahre) traten demnach mehr emotionale Störungen, bei Schulkindern (zehn bis 14 Jahre) mehr depressive Episoden und Angststörungen und bei Grundschulkindern (fünf bis neun Jahre) mehr Störungen sozialer Funktionen und Entwicklungsstörungen auf. „Davon sind auch Kinder- und Jugendliche innerhalb christlicher Kirchen und Gemeinden nicht ausgenommen“, sagt die Wissenschaftlerin. Hildebrandt sieht „einen zunehmenden Bedarf an seelsorgerlich und psychologisch gut ausgebildeten Mitarbeitern in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen“ und auch einen höheren „Betreuungsschlüssel“.
Dabei ist ihrer Meinung nach nicht die Corona-Pandemie als alleiniger Auslöser zu sehen. Bereits vor der Pandemie hätten sich Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft abgezeichnet, die ein Nachdenken über Jugendarbeit mit Fokus auf die nächste Generation notwendig gemacht hätten. Als einen wesentlichen Faktor nennt Hildebrandt grundlegenden moralischen Wandel innerhalb der Gesellschaft und auch der christlichen Kultur. Der habe bei vielen Jugendlichen und Eltern dazu führt, die Zugehörigkeit zu einer christlichen Jugendgruppe als weniger bedeutsam anzusehen.
Auch sei es innerhalb von Kirchen und Gemeinden immer schwieriger geworden, ehrenamtliche Mitarbeiter für Kinder- und Jugendarbeit zu finden. „Dazu kommt der Sog der digitalen Welt, der viele Kinder und Jugendliche schon früh in ihren Bann zieht und weitreichende Auswirkungen hat“, sagt die Theologin. „Christliche Gemeinden müssen die Auswirkungen von Säkularisierung und Digitalisierung auf die Jugendarbeit verstehen lernen und daraus Konsequenzen für die Praxis ableiten.“