PRO: Wie wird jemand Mitglied in einem Rundfunkrat?
Jörn Dulige: Ich bin entsandt von den drei Evangelischen Kirchen in Hessen. Eine Amtszeit dauert vier Jahre, und man darf die Aufgabe maximal drei Amtszeiten ausüben. Dass ich schon seit 1999 dabei bin, hat mit einer zwischenzeitlichen Gesetzesänderung zu tun. Mit meiner Pensionierung Ende Mai nächsten Jahres beende ich aber auch meine ehrenamtliche Arbeit im Rundfunkrat.
Der Sender wendet sich dann an die entsendenden Organisationen und bittet um Benennung eines Nachfolgers oder einer Nachfolgerin. Die Kirchenleitungen beraten dann und benennen einvernehmlich den Vertreter, die Vertreterin. Medienpolitische Kenntnisse und ein Interesse für das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem sollten vorhanden sein.
Wie können Sie die Interessen der Kirche einbringen?
Es gibt kein imperatives Mandat, ich handele also nicht im direkten Auftrag der Kirchenleitungen. Der Vertreter der entsendenden Organisation ist nach dem Gesetz über den Hessischen Rundfunk ein Vertreter der Allgemeinheit und muss sich mit dem ganzen Programm beschäftigen.
Natürlich setze ich mich auch für die Belange der Kirche ein, besonders im Bereich Kultur oder bei religiösen Verkündigungssendungen. Es gibt auch dazu eine Menge informeller Gelegenheiten bei Gesprächen mit dem Intendanten oder Programmdirektoren. Solche Gespräche zeigen oft Wirkung und stärken auch diejenigen, die im Sender für Kirche und Kultur zuständig sind.
Wie viel Zeit investieren Sie in Ihr Ehrenamt im Rundfunkrat?
Der Rundfunkrat tagt zehnmal im Jahr als Plenum. Jedes Mitglied gehört darüber hinaus noch einem Ausschuss an. Es gibt den Programmausschuss Fernsehen, Programmausschuss Hörfunk, Telemedien- sowie Finanzausschuss. Für den Vorsitzenden und für mich jetzt als Stellvertreter ist es sinnvoll, möglichst an allen Ausschüssen teilzunehmen, um zu erfahren, was der Stand der Diskussionen ist und wo es Konflikte gibt.
Dazu kommt, dass der Vorsitzende und sein Stellvertreter noch mit beratender Stimme im Verwaltungsrat sitzen. Alles in allem sind es fünf bis sechs Sitzungen im Monat. Dazu kommen die Vorbereitungszeit und immer wieder auch Gespräche mit Mitarbeitern des Senders.
Rundfunkräte sind bei den Sendern der ARD für die Kontrolle der jeweiligen Anstalt zuständig. Beim ZDF heißt das Gremium Fernseh-, beim Deutschlandradio Hörfunkrat. Sie wählen und beraten den jeweiligen Intendanten, prüfen, ob das Programm den Programmgundsätzen entspricht, genehmigen den Haushalt und wählen einen Teil des Verwaltungsrates. Dieser kontrolliert vor allem die geschäftlichen Belange der Rundfunkanstalt und schließt etwa den Vertrag mit dem Intendanten. Die Gremien sind ehrenamtlich besetzt. Verschiedene Gruppen der Gesellschaft wie Religionsgemeinschaften, Umwelt-, Sport- oder Wirtschaftsverbände können Vertreter in die Rundfunkräte entsenden.
Recherchen haben offengelegt, dass beim RBB die Kontrolle der Intendantin durch den Verwaltungsrat nicht funktioniert hat, wie sie sollte. Auch die Vorsitzende des RBB-Rundfunkrates ist in dem Zuge zurückgetreten. Was bedeuten diese Ereignisse für die Gremien beim HR?
Über diese Vorgänge beim RBB haben wir im Rundfunkrat des HR natürlich auch gesprochen. Wir lassen jetzt eine Arbeitsgruppe aus Mitgliedern des Rundfunk- und des Verwaltungsrates noch einmal prüfen, wie die Abläufe zwischen den Gremien und der Geschäftsführung aussehen und wo es mögliche Schwachstellen gibt: Genehmigungsverfahren, Vier-Augen-Prinzip, Compliance-Regeln. Hat unser Ombudsmann einen barrierefreien Zugang zu allen Informationen?
Bereits jetzt ist es so, dass sich der Verwaltungsrat des HR jede Ausgabe der Geschäftsführung über 30.000 Euro vorlegen lässt. Und alle Ausgaben über 200.000 Euro muss er genehmigen. Ganz wesentlich ist, dass beide Gremien gut zusammenarbeiten. Dass sie transparent agieren und beide voneinander wissen, welche Diskussionen da gerade geführt werden. Bei uns gibt es in den Sitzungen beider Gremien dafür einen regelmäßigen Tagesordnungspunkt.
Sie sind trotzdem dafür, die Aufsichtsgremien weiterhin ehrenamtlich zu besetzen. Warum?
Wir begleiten, beraten und kontrollieren die Intendanz. Jedoch denke ich, dass die Gremien nicht zu einer Art zweiten Geschäftsführung werden dürfen. Diese Gefahr sehe ich, wenn man zum Beispiel ein ausschließlich professionelles Gremium daraus machte. Dann verschwimmen Zuständigkeiten und Verantwortungen.
Als Vertreter der Allgemeinheit bin ich auch unbefangen genug, um frank und frei zu sagen, wie ich zum Beispiel die Hessenschau von gestern Abend und die Auswahl und Priorisierung der Themen fand. Das wäre bei einem hauptberuflichen Gremium oft schwieriger. Aber das Ehrenamt verlangt natürlich auch einen Einsatz: Man muss dafür Zeit erübrigen und sollte medienpolitisch einigermaßen im Bilde sein.
Eine PRO-Recherche hat ergeben, dass in sämtlichen Anstalten fast alle Programmbeschwerden abgelehnt werden. Wie kommt das?
Bei jeder Beschwerde muss die für den Beitrag zuständige Redaktion gegenüber dem Intendanten oder dem Rundfunkrat Stellung beziehen. Dafür gibt es einen speziellen Verfahrensweg und am Ende eine Antwort vom Intendanten. Es mag sein, dass die Beschwerden oft formal abgelehnt werden. Der Intendant muss sich als Chef ja auch vor die Mitarbeiter seines Senders stellen. Aber die Antwortschreiben nehmen oft Punkte der Beschwerde inhaltlich auf und gehen so auf den Beschwerdeführer zu. Dieses selbstkritischen Reflexionen haben nach meiner Wahrnehmung in den vergangenen Jahren eher zugenommen.
Zu welchen Themen erhalten Sie die meiste Kritik von Zuschauern?
Es gibt oft Hinweise von Zuschauern, wenn die Grenze zwischen Berichterstattung und Kommentar verschwimmt. Das betrifft nicht nur Nachrichtensendungen, es kann auch sein, dass einmal eine kurze Bemerkung in der Moderation eines Unterhaltungsformates als politischer Kommentar aufgefasst wird.
Wie reagieren die Redakteure darauf, wenn Sie diese Kritik weitergeben?
Mein Eindruck ist, dass sie grundsätzlich sehr sorgfältig mit dem Thema umgehen. Aber in der Fülle des Programms, was täglich produziert wird, rutscht so etwas auch mal durch. Dafür müssen wir aufmerksam bleiben. Manche sind auch erschrocken darüber, welches Echo zurückkommt, weil sie es vielleicht gar nicht so meinten, wie es Zuhörer aufgefasst haben.
An den Öffentlich-Rechtlichen gibt es auch immer wieder Kritik, dass sie eine politische Schlagseite nach links hätten. Was ist Ihr Eindruck?
In früheren Jahren hatten wir in den Sitzungen des Rundfunkrates zum Teil heftige Diskussionen zwischen den Vertretern der Parteien darüber, wer wie oft und mit welcher Bewertung in der Berichterstattung vorkam. Das ist mittlerweile deutlich weniger geworden. Wenn man das Programm der ARD als Ganzes sieht, kann man nicht sagen, dass es eine linksliberale Tendenz hätte. Das ist mehr oder weniger ausgewogen.
Was sagen Sie dazu, dass manche Moderatoren gendern? Auch daran entzündet sich Kritik, die Mehrheit der Bürger lehnt das ab.
Darüber diskutieren wir im Rundfunkrat. In der ARD ist es jedem Redakteur freigestellt, wie er es handhabt. Teilweise kann ich die Kritik daran nachvollziehen. Aber in ein paar Jahren wird sich diese Debatte beruhigt haben. Man sieht jetzt schon: Das Anliegen des Genderns ist angekommen, der Sinn ist verstanden. Jetzt muss es darum gehen, ein gesundes Maß zu finden. Gerade im Hörfunk kommt es darauf an, dass er sprachlich verständlich bleibt.
» Petra Gerster: „Niemand muss sprechen wie eine Moderatorin“
Ist der Rundfunkbeitrag ein Modell, das den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch in Zukunft finanzieren kann, oder braucht es eine Alternative?
Im Prinzip finde ich es richtig, wie dieser Beitrag zustande kommt und berechnet wird: Die Landesrundfunkanstalten, die ARD als Ganze, das ZDF und Deutschlandradio melden ihren Bedarf an, eine Expertenkommission prüft und hinterfragt das und empfiehlt schließlich die Höhe des Rundfunkbeitrags. Frankreich informiert sich derzeit über unser System. Dort war die Gebühr an die Wohnungssteuer gekoppelt und Macron hatte im Wahlkampf versprochen, das zu entkoppeln.
Das ist im Sommer geschehen. Für ein Jahr wird der Rundfunk über den Staatshaushalt statt über Gebühren finanziert. Damit ist die Finanzierung des Rundfunks aber abhängig von der Haushaltslage des Landes. Das kann die Planung für langfristige laufende Kosten, etwa das Personal, schwierig machen. Ich rechne damit, dass der Beitrag in Deutschland nach der jüngsten Erhöhung Anfang des Jahres einige Zeit auf diesem Niveau bleibt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks?
Ich wünsche mir, dass es ein gutes Gleichgewicht gibt zwischen einer Berichterstattung über das Ganze und dem Blick auf das Regionale. Das Regionale könnte sogar noch stärker werden, denn bei allen Unsicherheiten und Krisen ist die Region, das nahe Umfeld etwas, das die Menschen als einen starken Anker empfinden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Lesen Sie mehr zum Thema in der neuen Ausgabe 5/2022 des Christlichen Medienmagazins PRO. Das Heft können Sie kostenlos online bestellen.