Das Wormser Konkordat beendete vor 900 Jahren den Investiturstreit

Das Wormser Konkordat markiert den Beginn einer neuen Ära: 1122 legen Kaiser und Papst den Streit darüber bei, wer Bischöfe einsetzen darf. Die Kirche gewinnt Macht. Sprichwörtlich geworden an diesem Konflikt ist der Gang nach Canossa.
Canossa

Der Kaiser beglaubigt mit einem schlichten Kreuz. Anschließend erhält er in einer Messe von drei päpstlichen Legaten den Friedenskuss und die Kommunion. Das Dokument, das Heinrich V. am 23. September 1122 in Worms unterzeichnet, ist eine der wichtigsten Urkunden des Heiligen Römischen Reichs. Die Nachwelt nennt es „Wormser Konkordat“. Bischöfe und Äbte werden fortan von der Kirche eingesetzt und nicht mehr vom Kaiser.

Das Konkordat mache den Beginn einer neuen Ära sichtbar, sagt der Heidelberger Historiker Bernd Schneidmüller: „Die Welt zerfällt hier in eine geistliche und eine weltliche Sphäre.“ Seine Zürcher Kollegin Claudia Zey ergänzt: „Die Päpste setzen ihren Anspruch durch, die obersten Kirchenfürsten zu sein, in deren Belange sich die weltliche Macht nicht einmischen darf.“

Für heutige Menschen scheint es normal, dass Kaiser und Papst einen Vertrag schlossen. Damals aber war das außergewöhnlich. Denn ein bis zwei Jahrhunderte zuvor hatten sich die römisch-deutschen Könige und Kaiser noch selbst als kirchliche Oberhäupter betrachtet – und waren mit den Päpsten noch ganz anders umgesprungen.

Die Macht der Kaiser

Kaiser Otto III. (983-1002) zum Beispiel hatte ein Heer nach Rom gegen Papst Johannes XVI. geführt. Ottos Soldateska stach Johannes die Augen aus, schnitt ihm Ohren, Nase und Zunge ab, setzte ihn verkehrt herum auf einen Esel, führte ihn so durch Rom und schlug ihn dabei grün und blau. Und noch Heinrich III. (1039-1056), der Großvater Heinrichs V., hatte nacheinander vier Päpste auf den Stuhl Petri gehoben und so seine Macht über Rom demonstriert.

Die römisch-deutschen Könige und Kaiser setzten vor dem 12. Jahrhundert nicht nur mit großer Selbstverständlichkeit Päpste ein und ab, sondern auch Bischöfe oder Äbte von Klöstern. Bei dieser „Investitur“ erhielten Bischöfe ihren Bischofsring und -stab aus der Hand der Monarchen.

In der Kirche rumorte es wegen dieser Praxis schon länger. Eine Reformbewegung, ausgehend von den Klöstern Cluny und Corze im heutigen Frankreich und deren Tochterklöstern, wollte die Kirche aus ihrer „Verweltlichung“ befreien. Insbesondere die sogenannte Simonie, der Ämterkauf, stieß den Reformern sauer auf: Könige und Kaiser verschacherten Bistümer und Abteien samt zugehöriger Pfründe nämlich mitunter an den Meistbietenden. Auch die Priesterehe, bis weit ins 11. Jahrhundert noch üblich, war in Cluny und Corze nicht gern gesehen.

Schon während der Regierungszeit von Kaiser Heinrich III. gewannen die Reformer immer mehr Einfluss in der Kirche. Papst Leo IX. (1049-1054) holte viele Geistliche an die Kurie, die in der Tradition der Reformklöster standen.

Zwischen König Heinrich IV. (1056-1105) und Papst Gregor VII. (1073-1085) sollte es dann gewaltig krachen. Gregor beansprucht den Vorrang der Geistlichkeit vor der weltlichen Gewalt. Er fordert für sich das Recht, Bischöfe ein- und abzusetzen – und sogar das Recht, dem Kaiser seine Krone zu nehmen.

Heinrich verweigert das. In einem Brief spricht er Gregor mit dessen Geburtsnamen Hildebrand an und zeigt so, dass er nicht einmal mehr dessen Pontifikat anerkennt. Auch Gregor geht jetzt in die Vollen und exkommuniziert den König – ein bis dahin noch nie dagewesener Vorgang. Die deutschen Fürsten setzen Heinrich nun das Schwert auf die Brust: Binnen Jahresfrist müsse er den Kirchenbann lösen, sonst sei er seine Krone los.

Heinrich zieht um die Jahreswende 1076/1077 nach Italien und wartet drei Tage barfuß und im Büßergewand vor der Burg Canossa, ehe Gregor ihn einlässt, sich mit ihm versöhnt und den Bann löst. Die große Wende, die manche im Bußgang nach Canossa sehen, sei dies aber nicht gewesen, sagt die Historikerin Zey. Das Blatt habe sich danach noch oft gewendet: „Aber es war so etwas wie der erste Lackschaden für das Königtum.“

Canossa

Der Investiturstreit ist in Deutschland untrennbar mit dem Namen Canossa verknüpft. Vor der italienischen Burg Canossa tat König Heinrich IV. Buße, damit Papst Gregor VII. den Kirchenbann löste, den er über den Monarchen verhängt hatte.

Für die Zeitgenossen hatte der Gang nach Canossa als Ereignis allerdings kaum die Bedeutung, die ihm heute zugesprochen wird. Der Kirchenbann über einen König schockierte zwar viele Chronisten, doch nutzte sich der Schockeffekt schnell ab, da die Päpste dieses Instrument danach häufiger einsetzten.

Ein Sinnbild für Buße oder Reue wurde Canossa erst sehr viel später, und zwar durch den deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898). Im sogenannten Kulturkampf des deutschen Staats gegen die Katholiken im Land verkündete er 1872 im Reichstag: „Nach Canossa gehen wir nicht.“ Er meinte damit, dass das Deutsche Reich nicht nachgeben werde.

„Canossa“ wurde bei Bismarck zum Sinnbild einer Niederlage. Eine eindeutige Niederlage für Heinrich IV. war das historische Ereignis allerdings nicht. Schließlich erreichte er damit die Lösung des Kirchenbanns und rettete so seine Krone.

In England und Frankreich gab es ebenfalls Streit zwischen Königen und Päpsten um die Investitur. Doch dort einigte man sich viel geräuschloser als in deutschen Landen. „Die englischen und französischen Könige haben nicht den Anspruch der Kaiser, Schutzherren der Christenheit zu sein“, erklärt der Heidelberger Historiker Schneidmüller. „Sie haben weniger Probleme damit, in kirchlichen Dingen Gehorsam zu bekunden.“

Nach vielen gescheiterten Versuchen, den Investiturstreit beizulegen, bringt das Wormser Konkordat endlich die Lösung – auf Initiative der Reichsfürsten, die auf eine Einigung drängen. Heinrich V., Sohn und Nachfolger von Heinrich IV., verzichtet fortan auf die Investitur mit den geistlichen Symbolen Ring und Stab und garantiert freie Bischofs- und Abtswahlen ohne Simonie. Er verhandelt jedoch hinein, dass die römisch-deutschen Könige und Kaiser weiter bei diesen Wahlen anwesend sein dürfen und so Einfluss darauf nehmen können. Außerdem darf er Kleriker weiter mit Land und Rechten belehnen, was sie von den Herrschern materiell abhängig hält.

Trotz der Verhandlungserfolge macht das Wormser Konkordat deutlich: Die weltlichen Herrscher können nicht mehr verordnen, sie müssen mit den Päpsten auf Augenhöhe verhandeln. Schneidmüller beschreibt es so: „Auf der Leiter zum Himmel rutscht der Kaiser ein paar Stufen nach unten.“

epd
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