Mainz, der ZDF-Fernsehrat tagt. Herren und Damen aus Politik, Kirchen und Verbänden sitzen an ihren Tischen, das Gremium surrt durch das Programm wie eine frisch geölte Nähmaschine. Einer der Punkte sind wie immer die Programmbeschwerden. Der Beschwerdeausschuss stellt kurz seine Sicht der Dinge vor und empfiehlt, die Beschwerde abzulehnen. Fast alle Arme gehen in die Höhe. Im Protokoll wird später stehen: „Der Fernsehrat hat keinen Verstoß gegen die für das ZDF geltenden Rechtsvorschriften festgestellt.“
So oder so ähnlich läuft es fast immer ab, wenn die Gremien der Öffentlich-Rechtlichen über Kritik an ihrem Programm befinden. Eine PRO-Recherche unter allen ARD-Anstalten sowie ZDF, Deutschlandradio und Deutscher Welle zeigt: Fast alle Programmbeschwerden werden von den Rundfunkräten abgelehnt.
Eigentlich sind Programmbeschwerden ein ziemlich scharfes Schwert, das der Staat allen Bürgern in die Hand gibt. Jeder hat das Recht, eine solche Beschwerde zu erheben, wenn ihm ein Beitrag in einem öffentlich-rechtlichen Sender missfallen hat.
Doch einfach macht es der Staat verärgerten Mediennutzern keineswegs. Neun regionale Sender gehören zur ARD, jeder einzelne hat eigene Vorschriften und eigene Gremien. Wer eine Programmbeschwerde stellen will, muss also erst einmal wissen, an welchen Sender er sich überhaupt wenden muss. Alle öffentlich-rechtlichen Sender müssen sich bei ihrer Berichterstattung an besondere Vorgaben halten.
Festgehalten sind sie im Medienstaatsvertrag sowie in den Staatsverträgen der einzelnen Anstalten mit dem Bundesland, in dem sie senden. Ausgewogenheit, Respekt und journalistische Sorgfalt sind dabei wichtige Eckpfeiler. Dazu gehört auch, dass die „sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung“ stets „zu achten“ sind. Was das genau bedeutet, bleibt freilich unklar.
Nur zwei Beschwerden kommen durch
PRO hat zusammengetragen, wie die ARD-Anstalten sowie das ZDF, Deutschlandradio und die Deutsche Welle über Programmbeschwerden beschieden haben – von 2016 bis 2021. In diesen sechs Jahren sind 377 Programmbeschwerden eingegangen. 99,1 Prozent davon wurden abgelehnt. Nur zwei Eingaben wurde stattgegeben. Bei dem einen beanstandeten Beitrag handelte es sich um ein sogenanntes Hater-Interview des Jugendangebots „funk“.
Auf dem YouTube-Kanal „World Wide Wohnzimmer“ hatten die Verantwortlichen den übergewichtigen YouTuber „Exsl95“ mit deftigen Kommentaren aus dem Netz konfrontiert, zu denen er Stellung nehmen sollte. Der Branchendienst Meedia zitiert aus dem mittlerweile gelöschten Video übelste Beleidigungen wie „kinnlose Kackbratze“ oder „fresssüchtige Fast-Fehlgeburt“.
Der Rundfunkrat des HR gab der Programmbeschwerde am 15. März 2019 statt und beschloss, „dem Intendanten die Depublikation des beanstandeten Inhalts aus dem Internetangebot von funk zu empfehlen“. Eine ziemlich zahme Formulierung für einen eklatanten Verstoß gegen Programmgrundsätze. Es bleibt der Eindruck: Selbst bei solchen Verstößen wagen die Gremien es kaum, deutlich Position zu beziehen.
Daran ändert auch die zweite – und bisher letzte – erfolgreiche Programmbeschwerde nichts. Sie betraf einen Beitrag in der SWR-Sendung „Zur Sache! Rheinland-Pfalz“ aus dem Jahr 2019. Beschwerdeführer war der damalige Landrat von Ahrweiler, Jürgen Pföhler (CDU).
Das hat ein Geschmäckle.
Natürlich haben auch aktive Politiker das Recht, Sendungen zu kritisieren. Aber es trägt nicht unbedingt zum Selbstbild der Staatsferne der Öffentlich-Rechtlichen bei, wenn eine von nur zwei erfolgreichen Programmbeschwerden von einem Landrat erwirkt wurde, zumal der zuständige Ausschuss diese Entscheidung laut Protokoll erst „nach langer Diskussion“ getroffen habe.
Fairerweise muss man sagen, dass die Sender sich durchaus intensiv mit den Anfragen ihrer Zuschauer und Hörer befassen. In der Regel landet eine Programmbeschwerde erst dann im Rundfunkrat, wenn sich der Beschwerdeführer mit einer ersten Antwort nicht zufriedengegeben hat. Die Gremien beteuern gegenüber PRO, dass auch eine nicht stattgegebene Programmbeschwerde erfolgreich sein kann, etwa weil der Intendant die Redaktion auf mögliches Fehlverhalten hingewiesen hat.
Die Öffentlichkeit erfährt davon allerdings in der Regel nichts, auch wenn manche Anstalten wie das ZDF, der Saarländische Rundfunk oder der Rundfunk Berlin-Brandenburg die Protokolle der Rundfunkratssitzungen online veröffentlichen.
Die fast 100 Prozent zurückgewiesenen Programmbeschwerden vermitteln den Eindruck, dass die Rundfunkräte die Sender für nahezu unfehlbar halten. Das wäre verheerend für das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der insgesamt hochprofessionell und fair berichtet.
Vorbild Presserat
Möglicherweise liegt der Fehler in der Architektur. Denn unabhängig sind Rundfunkräte mitnichten. Sie sind nicht nur für Beschwerden zuständig, sondern auch für die Gestaltung des Programms, strategische Entscheidungen und auch für die Verabschiedung des Haushaltes.
Gleichzeitig verfolgen die Mitglieder eigene Interessen: Sie repräsentieren verschiedene „gesellschaftlich relevante Gruppen“ wie Kirchen, Umwelt-, Wohlfahrts-, Wirtschaftsverbände oder Parteien. So sollen die Räte die gesellschaftliche Vielfalt abbilden. Aber wer würde sich schon gerne als Miesepeter hervortun, wenn er sich dafür einsetzen will, dass sein Anliegen künftig stärkere Beachtung im TV-Programm findet?
Dass es auch anders geht, zeigt der Presserat, ein Selbstkontrollgremium von Verleger- und Journalistenverbänden. Er ist nur für Print- und Onlinemedien zuständig, also nicht für Fernsehen und Radio. Mit dem „Pressekodex“ hat er 16 kompakte Leitsätze für die journalistische Berichterstattung aufgestellt.
Im Gegensatz zu den Rundfunkräten listet er transparent auf, in welchem Zeitraum wie viele Beschwerden eingegangen sind und wie viele davon erfolgreich waren. Dazu gibt es drei Stufen, je nach Schwere des Verstoßes, vom sanften „Hinweis“ über eine „Missbilligung“ bis hin zur strengen „Rüge“, die auch prominent abgedruckt werden muss.
Der Presserat hat alleine 2021 nach eigenen Angaben in 501 Fällen eine Entscheidung getroffen. 36 lehnte er ab, 186 sah er als unbegründet an, 279 Beschwerden gab er statt – ein Anteil von 55,6 Prozent. Die beiden Gremien sind natürlich nicht direkt miteinander vergleichbar. In Sachen Transparenz und (Selbst-)Kritik haben die Öffentlich-Rechtlichen aber trotzdem Nachholbedarf.
Dieser Text erschien zuerst in der Ausgabe 3/2021 des Christlichen Medienmagazins PRO. Das Magazin können Sie kostenlos online bestellen.
3 Antworten
Wenn man sieht wie überheblich der ÖR eine einseitige Agenda durchdrückt, dann wundert einen nichts mehr.
Im Rahmen des ARD-„Zukunftsdialogs“ gab es zahlreiche und nachdrückliche Kritik am „Gendern“.
– Nichtsdestoweniger werden die Teilnehmer dieses „Dialogs“ weiterhin penetrant „gegendert“ angeschrieben.
Beratungsresistenter geht es kaum noch.
„So oder so ähnlich läuft es fast immer ab, wenn die Gremien der Öffentlich-Rechtlichen über Kritik an ihrem Programm befinden.“
So läuft das eigentlich immer ab, wenn eine Institution sich selbst untersucht und nicht eine unabhängige Seite. Egal ob nun öffentlich-rechtlicher Rundfunk, die Polizei oder die Kirche. Man selbst hat natürlich prinzipiell alles richtig gemacht. Es gab, wenn überhaupt, lediglich einige wenige Verfehlungen einzelner Akteure.
Spitzenreiter ist das ZDF. Das kann ich nachvollziehen. Seit Jahren häufen sich die Fälle, dass ich angewiedert bin, mich ärgere oder gar gleich etwas anderes ansehe. Zu oft wird der christliche Glaube diffamiert, ins Lächerliche gezogen und Witze gemacht. Das sollte bei einem öffentlich rechtlichen Sender Tabu sein – eigentlich überhaupt in den Medien. Es gebührt sich nicht, sich über den Glauben (welcher auch immer) lustig zu machen oder ihn in ein schlechtes Licht zu stellen, weil das einer Verallgemeinerung gleich kommt.