Journalismus im Ukraine-Krieg: „Putin hat meine Lieben getötet“

Wie können Medien über den Ukraine-Krieg berichten, ohne die nötige Distanz zu verlieren? Auf einer Podiumsdiskussion trafen nun gestandene ARD-Journalistinnen auf eine ukrainische Kollegin – die keinen Hehl aus ihrer Haltung machte.
Von Nicolai Franz
Georg Restle, Ina Ruck, Katja Goncharova und Katrin Eigendorf auf der re:publica 2022 in Berlin

Journalisten sollten möglichst neutral und ausgewogen berichten, heißt es immer wieder. Gleichzeitig verlauten regelmäßig Stimmen, die Medien voreingenommene Berichterstattung vorwerfen. 

Doch können Journalisten eigentlich wirklich neutral sein? Katja Goncharova sieht sich jedenfalls nicht als neutral an. Sie ist Ukrainerin und produziert ein Morgenmagazin. Ihr Moderator kämpft gerade gegen die Russen, ihr Lebensgefährte hat sich ebenfalls freiwillig gemeldet. „Putin ist mein Feind. Er hat meine Lieben getötet“, sagt die Journalistin am Mittwoch auf einer Podiumsdiskussion der re:publica in Berlin, einer Konferenz aus der Internetszene.

ARD-Moderator Georg Restle moderierte die Runde, in der neben Goncharova noch die ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf und Ina Ruck diskutierten, die das ARD-Studio in Moskau leitet.

Eigendorf begann mit einem Bekenntnis: „Ich weiß genau, auf welcher Seite ich stehe: auf der Seite der Ukrainer.“ Es sei eine Illusion, dass Journalisten absolut objektiv berichten könnten. Schon die Auswahl der Gesprächspartner sei subjektiv. Trotzdem will sich die erfahrene Journalistin keinesfalls als Aktivistin verstehen. Sie sei in der Ukraine, um zu berichten – und nicht um etwas vor Ort zu verändern.

Noch nie so schwer, neutral über Russland zu berichten

Ina Ruck zweifelte, ob sie selbst die nötige Distanz mitbringe, wenn sie über die Ukraine berichten müsste. Das ARD-Studio Moskau hat die Berichterstattung über den Krieg wegen der repressiven russischen Gesetze längst ausgelagert, zu gefährlich wäre es für die Mitarbeiter in Russland. Mehrere ihrer Bekannten und Freunde hätten sich freiwillig zum Dienst an der Waffe gemeldet, sagte Ruck, die die Entwicklung Russlands seit den späten 1980er Jahren aus eigener Anschauung verfolgt. 

Noch nie sei es ihr so schwer gefallen wie jetzt, neutral über Russland zu berichten. Manchmal sitze sie im Schneideraum und lösche einen O-Ton kritischer russischer Bürger, wenn die sich „um Kopf und Kragen geredet“ hätten und ihnen deshalb staatliche Verfolgung drohe. Manchmal würden sich die Kollegen gegenseitig ermahnen, dass man die nötige journalistische Distanz nicht verlasse.

Eigendorf sekundierte, dass die Vorwürfe angeblicher Einseitigkeit vor allem beim Thema Russland aufkämen. Bei der Berichterstattung über die Taliban sei ihr nie vorgeworfen worden, zu emotional oder distanzlos zu sein. Sie plädierte dafür, die harten Fakten zu nennen, statt Partei zu ergreifen und den russischen Präsidenten etwa als „Verbrecher“ zu brandmarken.

„Mutmaßliche“ Kriegsverbrechen

Moderator Restle schließlich bekräftigte erneut seine Entscheidung, die Gräueltaten Russlands in Butscha nur als „mutmaßliche“ Kriegsverbrechen zu titulieren. Ob es sich wirklich um Kriegsverbrechen handle, müssten Gerichte klären. Restle war vor Wochen für diese Haltung scharf kritisiert worden, zumal Journalisten sich selbst ein Bild von der Lage machen konnten.

An diesem Punkt wurde die besonnene Journalistin Goncharova deutlich. Und listete auf, was laut internationaler Definition als Kriegsverbrechen gilt. „Was davon haben wir in den vergangenen 105 Tagen eigentlich nicht erlebt?“ Sie warnte davor, „schleichende“ russische Propaganda zu übernehmen. Die diene nämlich dazu, überall Zweifel zu säen, bis hin zu der Frage: Sind die Ukrainer vielleicht nicht doch Faschisten?

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