Neun von zehn Schwangeren entscheiden sich nach einem auffälligen Befund gegen ein Leben mit behindertem Kind. Sie brechen die Schwangerschaft ab. Ab diesem Sommer sollen Bluttests Kassenleistung werden, die Trisomien bereits in der zehnten Schwangerschaftswoche anzeigen können. HR-Moderatorin Julia Tzschätzsch fragt in der Sendung „Engel fragt“, was das für die Gesellschaft und die Betroffenen bedeuten kann.
Tzschätzsch ist selbst Mutter von vier Kindern. Bei ihrem vierten Kind habe sie einen Bluttest gemacht, der genetische Auffälligkeiten entdeckte. In der Sendung, die am gestrigen Donnerstag im Hessischen Rundfunk ausgestrahlt wurde, spricht sie mit einer Familie, die sich für Kinder mit Trisomie 21 entschieden haben. In dem sehr ausgewogenen Beitrag thematisiert sie aber auch die Sorgen und Ängste werdender Eltern.
Zwei von vier Kindern der Dillenburger Familie Putz haben das Down-Syndrom. Die Diagnose präge den Wochenablauf durch zahlreiche Therapien massiv. Trotzdem habe sich die Familie bewusst für die Kinder entschieden. Unter Tränen eröffnet Mutter Nadine, wie sehr die beiden Kinder ihr Leben bereichern. Aus Sicht von Vater Gianluca könne die Gesellschaft nur schwer damit umgehen, wenn ein Kind Einschränkungen hat oder nicht ins Lebensschema passe.
„Viele Eltern erwarten ein gesundes Kind“
Der Beitrag fragt, wie egoistisch Eltern sein dürfen, wenn sie eine sehr schwere Diagnose erhalten. Eine Mutter, die ein gesundes Kind geboren hat, bekennt, dass es für sie viel schlimmer gewesen wäre, ihr Kind nach einem Jahr zu verlieren, als die Schwangerschaft vorher zu beenden. Dass der Bluttest eine Kassenleistung wird, sehen viele als Fortschritt für die Gesellschaft und die Frauen.
Der Pränatal-Diagnostiker Franz Bahlmann erkennt bei vielen Eltern die Erwartungshaltung, dass sie ein gesundes Kind wollen. Gespräche über den Bluttest sollten deswegen sehr detailliert geführt werden, um die Vor- und Nachteile zu erläutern: „Es kann auch negative Befunde geben oder Konfliktsituation, auf die sich Eltern einstellen müssen. Aber es gibt auch das Recht auf Nicht-Wissen.“
Der Bluttest ermöglicht es, die drei große Gendefekte zu erkennen. Diese machen aber nur fünf Prozent aller möglichen Behinderungen eines Kindes aus. Eine Mutter mit Namen Katharina hat in der 20. Schwangerschaftswoche einen Jungen mit einem offenen Gehirn – nicht mehr lebend – zur Welt gebracht. Sie berichtet offen und ehrlich von ihren Zweifeln und den „Was wäre wenn?“-Fragen bei der Entscheidung über Leben und Tod.
Muss ein öffentliches Thema sein
Der Medizinethiker Eckhard Nagel beobachtet, dass eine Integration von Kindern mit Down-Syndrom gar nicht mehr stattfinden könne, weil es sie kaum noch gebe. Er fordert eine öffentliche Diskussion zu dem Thema und nimmt dabei auch die Ärzteschaft in die Pflicht. Entscheidungen über Schwangerschaften oder deren Abbruch müssten reflektiert und verantwortlich getroffen und im Nachhinein begleitet werden. Sorgen mache er sich aber über die gesellschaftliche Entwicklung zum „vermeintlich perfekten Leben“.
Auch die Moderatorin Julia Tzschätzsch wägt am Ende der Sendung ab. Sie lobt die Vorzüge des unkomplizierten Tests. Zugleich sollte allerdings klar sein, was es für die Gesellschaft bedeutet. Es sei unfair, wenn noch mehr Kinder mit Behinderung abgetrieben und kaum noch sichtbar in der Gesellschaft seien. Dies sende auch ein falsches Signal in die Gesellschaft.
Die Sendung ist in der Mediathek des Hessischen Rundfunks zu sehen. „Engel fragt“ beschäftigt sich seit 2017 mit Themen rund um Ethik und Religionen.