Ukrainisch-orthodoxe Kirche erklärt völlige Unabhängigkeit von Moskau

Die ukrainisch-orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats hat ihre „völlige Selbstständigkeit und Unabhängigkeit“ von Moskau erklärt. PRO hat bei einer Osteuropa-Expertin nachgefragt, was das für den ökumenischen Dialog vor Ort bedeutet.
Von Johannes Blöcher-Weil
Der Patriarch Onufri von der Ukrainisch-orthodoxen Kirche

Kyrill, Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, steht im Ukraine-Krieg fest hinter dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Für die ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchat ein Problem: Deren Metropolit Onufri hatte sich bereits zu Beginn des Krieges gegen den „Brudermord“ gewandt. Zuletzt war der innerkirchliche Druck gestiegen, sich von Moskau loszusagen. Hunderte Priester hatten gar ein Kirchentribunal gegen den Patriarchen gefordert. Am vergangenen Wochenende hat die ukrainisch-orthodoxe Kirche ihre „völlige Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ von Moskau erklärt. Sie konkurriert mit der Orthodoxen Kirche der Ukraine, die sich 2018 als autokephale, also eigenständige orthodoxe Kirche gründete.

PRO: Frau Elsner, was bedeutet dieser Schritt für die Ukraine?

Regina Elsner: Die Lösung der ukrainischen Orthodoxie vom Moskauer Patriarchat ist ein wichtiger Schritt, um die inner-ukrainischen Spannungen zwischen den Kirchen abzubauen und den toxischen Einfluss der russischen Kriegspropaganda zu erschweren. Für die ukrainischen Kirchen hängt nun viel davon ab, ob die beiden orthodoxen Kirchen in einem guten Dialog zueinander finden und einen Prozess der Versöhnung nach drei Jahrzehnten der gegenseitigen Anfeindungen beginnen können. Dies wird insgesamt die Relevanz der Kirchen in der ukrainischen Zivilgesellschaft und ihr versöhnendes Potential für die Zeit nach dem Krieg erhöhen.

Was bedeutet er für die orthodoxe Welt allgemein?

Der Schritt bringt die russische Orthodoxie in noch größere Isolation und verkleinert die Kirche. Die ukrainisch-orthodoxe Kirche stellt ein Drittel der russisch-orthodoxen Kirche. Allerdings verkompliziert sich die Gesamtsituation in der Orthodoxie. Es wäre eine kirchenrechtliche Anomalie, zwei unabhängige orthodoxe Kirchen in einem Land zu haben. Sollte die ukrainisch-orthodoxe Kirche zunächst in ein Schisma geraten, weil sie weder durch Moskau noch durch das Ökumenische Patriarchat anerkannt ist, würde das die innerorthodoxen Beziehungen erneut stark belasten. Allerdings würde es auch die dringende theologischen Diskussionen um die Ekklesiologie erneut anfachen. Grundsätzlich entsteht die Chance, dass die ukrainische Orthodoxie als eigenständige Stimme in der Weltorthodoxie wahrgenommen wird.

Was heißt das für den Dialog in der Ökumene?

Bisher ist keine der orthodoxen Kirchen in der Ukraine in einem eigenständigen ökumenischen Dialog mit der katholischen oder evangelischen Kirche. Die Ablösung von Moskau und eine gleichzeitige Annäherung der beiden Kirchen in der Ukraine wird die ökumenischen Strukturen lokal und global hoffentlich motivieren, einen direkten Kontakt mit der ukrainischen Orthodoxie zu suchen und ihre Tradition und Identität unabhängig von Moskauer Deutungsmustern zu verstehen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Dr. Regina Elsner ist katholische Theologin und seit September 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien. Dort untersucht sie die sozialethische Haltung der Orthodoxen Kirchen in Osteuropa seit dem Ende der Sowjetunion mit einem besonderen Schwerpunkt auf der Friedens- und Konfliktethik. Sie engagiert sich bei der kirchlichen Stiftung Pro Oriente im orthodox-katholischen Dialog. Auf die Fragen hat sie schriftlich geantwortet.

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2 Antworten

  1. Guten Tag,
    ist jemand in der Lage hier eine Unterscheidung vorzunehmen?
    Zwei orthodoxe Kirchen in der Ukraine :
    „die ukrainisch-orthodoxe Kirche….die konkurriert mit der Orthodoxen Kirche der Ukraine“ ???
    Würde den Inhalt gerne verstehen in einen so aktuellen und wichtigen Fall.

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    1. Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchat ist eine autonome, sich selbst verwaltende Kirche innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche. Der Moskauer Patriarch Kyrill steht als Oberhaupt noch über dem ukrainischen Metropoliten. Wegen ihrer Bindung an Moskau wird ihr oft vorgeworfen, mit Russland zu kollaborieren. Die Orthodoxe Kirche der Ukraine entstand 2018 aus der Fusion zweier Abspaltungen davon. Sie wurde vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, dem Oberhaupt aller orthodoxen Kirchen, als autokephale, eigenständige orthodoxe Kirche anerkannt. Deshalb konkurrieren jetzt zwei orthodoxe Kirchen auf ukrainischem Territorium.

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