„Die Bestattung mit Leichnam im Sarg, der an Seilen in die Erde gelassen wird, wie wir dies in amerikanischen Filmen sehen, ist eine Seltenheit geworden“, zitiert die schweizerische Sonntagszeitung Rolf Steinmann, Friedhofs-Chef der Stadt Zürich. „Neun von zehn Verstorbenen lassen sich heute kremieren. Und etwa 40 Prozent wollen für die letzte Ruhe ins Gemeinschaftsgrab.“
Längst gibt es in der Schweiz andere Alternativen. Immer mehr lassen ihre Asche im See oder in der Natur verstreuen. Oder von den Angehörigen zu Hause aufbewahren.
Grundlegend andere Auffassung vom Sterben
Der Soziologe Frank Thieme von der Ruhr-Universität Bochum, der seit Jahren zum Thema Sterben und Tod forscht, beobachtet in den Ländern der westlichen Zivilisation „einen grundlegenden Wandel in der Bestattungskultur: weg von traditionellen Grabformen, hin zu alternativen und anonymen Bestattungen“.
Die Ursachen dafür sieht der Soziologe in der Rationalisierung, Individualisierung und Säkularisierung. „Die Kirchen verlieren an Bedeutung, und dadurch sinkt auch ihre Deutungshoheit zu den Fragen der menschlichen Existenz“, zitiert die Sonntagszeitung Thieme. Nicht mehr die Aufnahme des Verstorbenen in die Gemeinschaft mit Gott werde erwartet. Vielmehr werde der Tod als Ende einer individuellen Existenz betrauert oder pragmatisch-nüchtern hingenommen. Fazit: „Das Bild des modernen Friedhofs und der Bestattung spiegelt diese Entwicklung wider.“
Stadt-Land-Gefälle
Auch Fabrice Carrel von der Firma „Everlife“, die Beerdigungen organisiert, stellt einen „Pragmatismus“ fest: Immer mehr Menschen würden „einfache Leistungen“ wählen und beispielsweise die Urne einfach zu Hause aufbewahren. Das gelte auch für die Trauerfeier, die als kirchliches Ritual immer noch gefragt sei – „kein anderes kirchliches Ritual wird so oft in Anspruch genommen“. Auch sie solle einfach sein. Aber die Bestattungs-Quote – der Anteil der Menschen, die sich nach der Abdankung beerdigen lassen – sinke ständig.
Urs Winter-Pfändler vom pastoralsoziologischen Institut in St. Gallen ortet dabei ein gewisses Land-Stadt-Gefälle: „Gerade in den urbanen Kantonen findet eine starke kirchliche Entfremdung statt.“ „In der Folge sinken die Zahlen der katholischen, aber auch reformierten Taufen und Trauungen seit Jahren. Und nun schwappt diese Entwicklung auf die Beerdigungen über und wird noch weiter zunehmen“, folgert die Sonntagszeitung.
Winter-Pfändler erklärt, wer sich heute vor allem noch beerdigen lässt: „Derzeit werden in den allermeisten Fällen Menschen im höheren Lebensalter kirchlich beerdigt.“ Diese Menschen seien noch vorwiegend christlich sozialisiert, was für jüngere Generationen so nicht mehr der Fall sei. Sein Schluss: „Es droht die Gefahr, dass das religiöse Basiswissen nicht mehr an die nachfolgende Generation weitergegeben wird.“
Von: Reinhold Scharnowski
Der Artikel erschien zuerst auf livenet.ch