„Christentum hat Indigene überformt“

Frank Schwabe ist neuer Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfragen. Mit PRO sprach der SPD-Politiker über seine persönliche Glaubensentwicklung und den inhaltlichen Schwerpunkt seiner Arbeit in den kommenden Jahren: indigene Völker.
Von Martin Schlorke
Der SPD-Politiker Frank Schwabe

PRO: Waren Sie überrascht, als Sie für die Position des Beauftragten für Religionsfreiheit nominiert worden?

Frank Schwabe: Ja und nein. In den Koalitionsverhandlungen hat die Stelle des Beauftragten zunächst keine herausgehobene Rolle gespielt. Das Amt war ja bereits eingerichtet. CDU und CSU haben das Amt Mitte Dezember in einer Debatte im Bundestag noch einmal besonders thematisiert. In dem Zusammenhang hat mich Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) gefragt, ob ich mir das vorstellen kann. Ich habe ja durch meine Arbeit im zuständigen Bundestagsausschuss bereits eine Menge Erfahrung in Sachen Menschenrechte. Außerdem war ich vor vier Jahren in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU an der Schaffung des Amtes beteiligt.

Sie haben gerade Ihren fachlichen Hintergrund genannt. Gibt es auch einen religiösen?

Zuerst: Ein religiöser Hintergrund ist keine Grundbedingung für die Ausübung des Amtes. Es geht um ein ganz wichtiges Menschenrecht, das geht jeden etwas an. Ich selbst bin evangelischer Christ, der sich in den vergangenen Jahren im Glauben weiterentwickelt hat.

Was meinen Sie mit „weiterentwickelt“?

Ich bin getauft, konfirmiert und Kirchenmitglied. Allerdings war ich kein Teil eines aktiven Gemeindelebens über den Besuch der Kirche an Weihnachten und Ostern hinaus. Geändert hat sich das erst durch meine Frau. Sie stammt aus Nigeria. Für sie spielt der Glaube eine zentrale Rolle im Leben. Allerdings kommt sie von einer anderen Form von Religionsausübung, auch durch anders praktizierte Gottesdienste. Auf dieser Ebene mussten wir erst zusammenfinden – aber es ist gelungen.

Also spielt der Glaube in Ihrem Leben nun auch eine größere Rolle?

Wir gehen beide seit etwa zehn Jahren in eine evangelische Kirchengemeinde, die ein sehr modernes, den Menschen zugewandtes Gemeindeleben hat. Dort fühlen sich auch unsere drei kleinen Kinder sehr wohl. Insofern würde ich schon sagen, dass das Thema Religion für mich persönlich eine wichtige Rolle spielt.

Inwiefern spielt Ihr Glauben bei der Ausführung des Amtes eine Rolle?
Wie gesagt. Es ist keine Grundbedingung. Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht. Das fände ich auch so, wenn ich selbst kein Christ wäre oder anderweitig persönlich mit Religion zu tun hätte. Aber mein Hintergrund hilft mir natürlich, ein tieferes Verständnis dafür zu entwickeln und auch gehört zu werden.

Sehen Sie die Gefahr, dass Ihnen als Christ der Vorwurf gemacht werden könnte, parteiisch zu sein? Also andere verfolgte Religionen weniger zu thematisieren?

Nein. Bei dem Amt geht es ausdrücklich um Religionsfreiheit im umfassenden Sinne. Das bedeutet übrigens auch Weltanschauungsfreiheit. Ich will mich also auch für das Recht von Menschen einsetzen, keiner Religion anzugehören. Dennoch ist klar, dass Christen die größte Gruppe sind, die weltweit verfolgt wird. Das hängt auch mit ihrer schieren Zahl zusammen. Aber ich will die Verfolgung von Religionen und Religionsgemeinschaften nicht gegeneinander aufrechnen. Alle, die verfolgt werden, sind gleich wichtig.

Kann Ihr persönlicher Glaube in Ihrer neuen Position auch Nachteile haben? Ich denke da an Gespräche mit muslimischen oder kommunistischen Staatsführern, in deren Länder Christen verfolgt werden.

Ich glaube, im Gegenteil. Ich denke, es hilft, wenn die Gesprächspartner wissen, dass man selbst etwas mit dem Thema Religion anfangen kann, dass es einem selbst etwas bedeutet. Welche Religion das dann ist, ist eher zweitrangig.

Lassen Sie uns auf Ihre ersten Wochen als Beauftragter für Religionsfreiheit zurückblicken. Was war bisher Ihre wichtigste Amtshandlung?

Das war eigentlich eine organisatorische Aufgabe, die mir aber auch inhaltlich wichtig war. Korrekt heißt mein Amt jetzt: Beauftragter für Religions- und Weltanschauungsfragen. Dieser Zusatz der Weltanschauung ist mir sehr wichtig.

„Es hilft, wenn die Gesprächspartner wissen, dass man selbst etwas mit dem Thema Religion anfangen kann.“

Frank Schwabe

Warum?
Ich will so den umfassenden Ansatz meiner Aufgabe deutlich machen. Es geht bei meiner Aufgabe eben nicht um das Recht von Religionen. Das wäre ein Missverständnis. Ich bin auch nicht der oberste Religionsbeauftragte der Bundesregierung. Es geht immer um den einzelnen Menschen, der in der Lage sein muss, frei seine Religion auszuüben oder seine Wel­tanschau­ung – oder eben auch nicht.

Was steht noch auf Ihrer Agenda für die kommenden Jahre?

Es wird weiterhin einen Bericht zur Lage der Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Bundesregierung geben – alle zwei Jahre. Christenverfolgung wird natürlich, allein schon wegen der hohen Zahlen, ein wichtiger Schwerpunkt sein. Da rücken Länder aus dem Nahen Osten oder China ins Blickfeld. Aber es geht auch um alle anderen Religionen. Zudem will ich neue Akzente setzen und die Lage der Indigenen, zum Beispiel in Südamerika, beleuchten. Indigene naturreligiöse Vorstellungen sind gerade in Lateinamerika oft mit dem Christentum durchaus auch harmonisch verschmolzen. Aber es gibt eben auch die Diskriminierung durch christliche Kirchen. Jenseits von Lateinamerika auch durch andere Religionen. Bedrohungen gibt es für Indigene aber auch durch Staaten, die es zulassen, dass Wälder gerodet, Flüsse verseucht oder Minen betrieben werden. In diesen Ländern fehlt an vielen Stellen das Verständnis dafür, warum beispielsweise bestimmte Orte für die Indigenen heilig sind und deswegen nicht angerührt werden sollten. Meine erste Reise wird deshalb nach Lateinamerika gehen.

Christen unterdrücken Indigene? Durch Mission?

Das kommt immer darauf an, wie Mission aussieht. Grundsätzlich ist gegen Missionieren nichts einzuwenden, auch wenn ich das persönlich nicht als meine Berufung als Christ sehe. Historisch betrachtet kann aber festgestellt werden, dass das Christentum indigene Kulturen überformt hat. Das ist zum Teil einvernehmlich geschehen. Aber es gibt auch bestimmte Bereiche, in denen indigene Kulte so verändert wurden, dass sie nicht mehr sichtbar sind.

Auf was kommt es also an?

Es ist wichtig, genauer zu beleuchten, wo Christentum und Naturglaube gut miteinander auskommen. Dafür gibt es viele positive Beispiele. Aber ebenso ist es wichtig herauszuarbeiten, wo Naturvölker in ihrem Glauben bedroht sind. Es braucht ein Verständnis, dass Indigene überhaupt bestimmte Rechte, auch die freie Religionsausübung, haben. Das müssen Religionsgemeinschaften, aber eben auch Regierungen respektieren.

Frank Schwabe

Frank Schwabe, geboren 1970, ist seit 2022 Beauftragter der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Seit 2005 gehört der SPD-Politiker dem Deutschen Bundestag an. Schwabe ist zudem SPD-Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.

Sie versprechen „eine klare Antwort“ bei Verstößen gegen Religionsfreiheit. Was bedeutet das konkret?

Manche halten stille Diplomatie für den richtigen Weg. Ich glaube, dass die Grundbedingung für stille Diplomatie ist, Menschenrechtsverletzungen zunächst klar zu benennen.

Was wird dadurch erreicht?

Durch einen klaren Satz wird natürlich die Situation nicht über Nacht geändert. Aber ein klares Wort ist zum einen den Menschen im Land wichtig. Sie werden in ihrer Not gesehen. Zum anderen ist es ein Signal an die Unterdrücker. Schweigen würden sie als Ermutigung verstehen. Ich bin nicht gegen Diplomatie. Irgendwann ist sie zum Beispiel in Einzelfällen sinnvoll. Es können auch für die Herrschenden gesichtswahrende Lösungen im Sinne von Einzelschicksalen gefunden werden.

Sehen Sie einen Teil Ihrer Aufgabe auch darin, die Religionsfreiheit in Deutschland zu thematisieren?

Immer dann, wenn die Glaubwürdigkeit unseres Wirkens nach außen bedroht ist. Wichtig ist, dass Menschen in Deutschland nicht nur frei sind, einer Religion anzugehören, sondern diese auch frei ausüben können – auch so, dass andere Menschen das mitbekommen.

Was meinen Sie damit?

Manche finden, dass Religionsfreiheit generell schon okay ist. Wenn es aber um konkrete Ausprägungen von Religionsfreiheit geht, sind sie dagegen. Das geht nicht. Es gibt beispielsweise grundsätzlich das Recht auf den Bau von Moscheen oder auf den Muezzinruf. Das Recht ist da. Die Gemeinden müssen vor Ort entscheiden, wie sie mit diesem Recht umgehen.

Stichwort Kruzifixe in öffentlichen Gebäuden: Freie Religionsausübung oder Beschränkung der Religionsfreiheit Anders- oder Nichtgläubiger?

Das ist eine schwierige philosophische Frage. Aber ja, grundsätzlich muss das Kreuz möglich sein. Ob der Staat klug beraten ist, das vorzugeben, ist eine andere Frage.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 2/2022 im Christlichen Medienmagazin PRO erschienen. Das Magazin können Sie kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 06441/5667700.

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3 Antworten

  1. Mission bedeutet „Auftrag“ oder „Sendung“. Jesus Christus wollte nie eine Zwangsmission. Sein Auftrag an seine Nachfolger lautete: „Gehet hin in die ganze Welt und predigt das Evangelium der ganzen Schöpfung. Wer durch die Verkündigung gläubig geworden und getauft worden ist, wird errettet werden.“ Das Wort zeigt, es geht um eine freiwillige Entscheidung eines jeden einzelnen. Dass das Wort „Mission“ oft als negativ betrachtet wird, könnte mit der geschichtlichen Kolonialisierung zusammen hängen. Das eine Druck ausübende Fremdherrschaft den Lebensraum anderer Kulturen einengt oder sogar zerstört hat nichts mit dem wahren Christentum zu tun. Jeder Mensch ist von Gott gewollt und jeder Mensch sollte respektiert werden, ganz gleich aus welcher Kultur er kommt. Jesus sagte in seiner Bergpredigt: „Alles was ihr wollt was die Menschen euch tun sollen, das tut ihr ihnen auch.“ Und: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ Von Anbeginn des früheren Christentums bis heute haben sich Christen immer wieder für soziale Gerechtigkeit eingesetzt. Errichtung von Krankenhäusern, humanitäre Hilfe für Notleidende, Gleichberechtigung für Frauen, Inklusion von Schwachen und Benachteiligten und vieles mehr. Ich weiß von christlichen Ärzten, Krankenpflegerinnen, Hebammen usw. die im Missionsdienst, auch unter indigenen Völkern, kostenlos Behandlungen und medizinische Versorgung leisten, da diese Menschen aufgrund von Armut keine ärztliche Versorgung in ihrem Land bezahlen können.

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  2. Ich habe mit meiner Frau zusammen die letzten 20 Jahre mit dem Volk Guaraní Mbyá gelebt und gearbeitet. Habe immer wieder erlebt wie Menschen von außen den Indianern vorschreiben wollten was sie zu glauben haben. Sie sind frei Menschen, in Brasilien herrscht Religionsfreiheit aber manche staatlichen Stellen und ONGs denken sie müssten oder können weiter bestimmen was die Indianer glauben. (ich benutze das Wort “Indianer “ weil sie selbst es benutzen – mit Indigen kann ich nichts anfangen)

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