Der Krieg am Telefon

Bei der Kirchlichen Telefon-Seelsorge Berlin erleben die Berater den Ukraine-Krieg in all seinen Facetten. Die Zahl der Anrufe hat sich mit Kriegsbeginn stark erhöht.

Ulrike Feldhoff berät seit 1996 als Ehrenamtliche am Telefon der Kirchlichen Telefon-Seelsorge (KTS) in Berlin. In der Corona-Pandemie hätten viele Menschen das Gefühl gehabt, noch etwas beeinflussen zu können, indem man Zuhause bleibe, sich schütze, sich impfen lasse, berichtet sie. „Jetzt rufen viele Menschen an und sagen: Es reicht jetzt! Da ist eine enorme Wut bei den Menschen und der große Wunsch nach Normalität“, erklärt die Berlinerin.

Uwe Rosenbaum, der ebenfalls bei der Kirchlichen Telefon-Seelsorge Anrufende berät, beobachtet, dass in der Zeit der Einschränkungen durch die Pandemie und der Ängste und Bedrohungen durch den Krieg die Anliegen der Anrufenden viel ernster geworden sind. „Die unbewältigten Probleme der Menschen kommen in Krisenzeiten viel eher an die Oberfläche“, berichtet er. Den Ansatz der Beratung erklärt Rosenbaum so: „Erstens Zuhören. Zweitens: Fragen. Drittens: Vorschläge machen und versuchen, vorsichtig herauszufinden, was dem Menschen helfen könnte.“

Rat: „Nachrichten-Diät“

Die Kirchliche Telefon-Seelsorge in Berlin, die von evangelischer, katholischer Kirche, den Freikirchen und den christlichen Wohlfahrtsverbänden getragen wird, zählte seit Kriegsbeginn zehn Prozent mehr Anrufe. „Wir wissen, dass der Bedarf noch größer ist“, erklärt Leiter Uwe Müller. Mit 142 ehrenamtlichen Mitarbeitenden sei die Telefon-Seelsorge aber an ihrer Belastungsgrenze. Derzeit beantworten die Ehrenamtlichen in der Dienststelle Berlin innerhalb von 24 Stunden durchschnittlich rund 92 Anrufe.

Durch die Anonymität am Telefon sprächen viele Leute aus, was sie sich sonst nicht trauten, beobachtet Ulrike Feldhoff: „Sie sagen am Telefon: Dieser Aggressor Putin, der sollte umgebracht werden.“ Als Beraterin könne sie schlecht sagen: Ja, das ist eine gute Idee, erklärt sie. Aber: „Wir versuchen, die Menschen aussprechen zu lassen, anzuhören, ihre Zukunftsängste ernst zu nehmen.“ Einen Rat hat sie für die Anrufenden immer: Weniger vorm Fernseher sitzen und Nachrichten schauen.

Einen ähnlichen Rat geben auch die Ehrenamtlichen am russischsprachigen Telefon Doweria. „Nachrichten-Diät“ nennt das Tatjana Michalak, Leiterin des Projekts, das von der Diakonie Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, getragen wird.

Am Telefon Doweria hätten sich die Anrufe seit Beginn des Kriegs in der Ukraine von täglich 15 bis 20 auf 35 bis 40 verdoppelt. Auf der einen Seite gäbe es viele Geflüchtete aus der Ukraine, die Informationen suchen. „Wie finde ich eine Unterkunft, medizinische Versorgung oder Windeln für mein Baby“, erzählt Michalak. Die Ehrenamtlichen könnten auf eine Datenbank zurückgreifen und viele nützliche Informationen liefern.

Russischsprachige fühlen sich auf der Straße nicht mehr sicher

Eine andere Ehrenamtliche, die unter dem Pseudonym Christina am Telefon berät, und aus Lettland kommt, berichtet, es riefen Menschen an, die selbst geflohen sind und auch Leute, die Flüchtlinge aufgenommen haben und die keine Kraft mehr haben. Auf der anderen Seite gebe es auch Anrufe von russischsprachigen Menschen, die sich auf der Straße oder im Restaurant nicht mehr sicher fühlten, deren Kinder Mobbing auf dem Schulhof erlebten oder die wegen ihrer Herkunft ihren Job verlören.

„Es rufen auch Menschen an, die den Krieg in der Ukraine befürworten“, erzählt Michalak. Aber wie gehen die Beraterinnen und Berater der Telefon-Seelsorge mit den unterschiedlichen Sichtweisen um? „Wir bleiben neutral“, sagt Michalak. Das, was die Menschen erzählten, sei ihre Erfahrung. Die Beraterinnen und Berater hätten in der Ausbildung genau das gelernt: Den Menschen zuzuhören, ohne zu bewerten. Es habe auch Ehrenamtliche mit ukrainischen Wurzeln gegeben, die zu Beginn des Krieges das Ehrenamt ruhen ließen, weil sie genau das jetzt nicht konnten. Einige von ihnen seien mittlerweile zurückgekehrt.

epd
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