Ich habe ihn nicht vermisst, aber er hat nicht lockergelassen“, sagt Carolin George. Er, das ist Gott. Die 44-jährige Journalistin wächst in einem beschaulichen Hamburger Vorort auf. Religion spielt in ihrem Elternhaus fast keine Rolle. Während ihre ältere Schwester und ihre Mutter zumindest an Weihnachten in die Kirche gehen, entscheiden ihr Vater und sie sich bewusst gegen Gott. Sie lässt sich auch nicht gerne bevormunden, möchte keine Marionette eines höheren Wesens sein. Aber genau als solche fühlt sie sich bei ihren Berührungspunkten mit der Kirche. Fremde sollen nicht bestimmen, wie sie betet. „Kirche war für mich ein Ort der Unfreiheit. Auch die düstere Atmosphäre in den Kirchen hat mich abgeschreckt.“
Als junge Frau engagiert sie sich als Klassensprecherin und gründet eine Schülerzeitung. Sie will später im journalistischen Bereich arbeiten. Ihr „Vorbild“ als Kind ist die Journalistin Carla Kolumna aus den Benjamin Blümchen-Hörspielen.
George studiert nach dem Abitur in Lüneburg Angewandte Kulturwissenschaften. In der 80.000-Einwohner-Stadt wird sie danach als freie Journalistin sesshaft. Für Gott ist dort kein Platz. Als sie beruflich fürs Hamburger Abendblatt eine Pastorin interviewen soll, ändert das ihr Leben: „Die Begegnung mit der Superintendentin war ein Türöffner für Vieles.“
Deutschland befindet sich damals gerade in einer Wirtschaftskrise. Die Pastorin spricht davon, dass es im Umgang mit der Krise Empathie braucht: „Dieser Begriff hatte in meinem Leben noch keine Rolle gespielt. Schließlich war ich ja meines eigenen Glückes Schmied“, erinnert sich George. Zwischen den beiden entsteht nach dem Gespräch eine Vertrauensbasis, die sich noch als sehr wichtig erweisen wird.
Später soll George eine Broschüre über regionale Kirchen erstellen. Sie besucht ganz unterschiedliche Kapellen und Kirchen und beschreibt, was sie dort wahrnimmt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und die Broschüre ist schnell vergriffen.
„Gott hat weiter geduldig angeklopft“
Als dann zwei Kirchenkreise fusionieren, sehen George und ihre Kollegin die Chance für eine Neuauflage. Als Privatperson hätte sie sich die Kirchen nie angeschaut. „Mein Beruf hat mich quasi zu meinem Glück gezwungen“, sagt sie. In bestimmten Situationen in der Kirche überkommen den Verstandesmenschen George die Emotionen. Was sie erlebt, behält sie zunächst für sich und vertraut sich erst später einer alten Schulfreundin an. Doch in ihr arbeitet es: „Gott hat bei mir angeklopft. Ich habe das Klopfen lange Zeit überhört, aber Gott war geduldig“, sagt sie rückblickend.
Immer wieder trifft sie bei öffentlichen Terminen die Superintendentin. Die Begegnungen sind herzlich. Irgendwann fasst sie Mut und bittet die Theologin um ein Gespräch. Sie möchte ihr erzählen, was sie erlebt hat und kehrt gegenüber der Theologin ihr Innerstes nach außen. Auf das erste einstündige Gespräch folgen weitere. George lernt, wie man vergeben kann und was Gott damit zu tun hat. Sie will genauer wissen, was es mit Gott auf sich hat. Die Journalistin installiert die App mit den Herrnhuter Losungen. Nicht mit allen Tagesversen kann sie etwas anfangen, aber manche bestärken sie in ihren Entdeckungen. Sie liest zudem das Buch „Gott für Neugierige“. Die ersten Gottesdienstbesuche und die dortigen Rituale erschienen George in der Rückschau „spooky“. Aber dass sie frei und ungezwungen Gottesdienste besuchen kann, ohne sich beobachtet zu fühlen, hilft ihr.
Für sie ist es befreiend, etwas zu bekommen, ohne selbst etwas dafür tun zu müssen. Der Glaube gibt George Gelassenheit. Ihre Grundhaltung verändert sich. Sie weiß, dass sie auch einmal traurig sein darf und nicht immer alles kontrollieren muss: „Mit Gott habe ich gelernt: Wer glaubt, muss nicht alles können.“ George gelingt es, Schwieriges zu akzeptieren und unangenehme Gefühle auszuhalten.
Ihren Schritt möchte sie gerne öffentlich machen. Da sie schon als Säugling getauft ist, kommt eine weitere Taufe nicht infrage. Die Superintendentin und sie finden, dass der Begriff Konfirmation passend ist: „Es ging ja auch darum, meinen Entschluss zu festigen und zu stärken.“ Deswegen wird George im November 2020 konfirmiert und fühlt sich danach wie neugeboren. Es tut ihr gut, noch einmal den Zuspruch zu erhalten, dass sie in Gottes Augen wunderbar und angenommen ist: „Ich fühle mich gestärkter, seit ich lieben, vergeben, vertrauen und hoffen kann.“ Mit manchen theologischen Begriffen wie „Heiland“ oder dem Bild von Gott als Richter hat sie so ihre Probleme. George ersetzt sie für sich dann durch das Wort Liebe. Sie ist froh, dass sie bei Gott nicht perfekt sein muss und ihm auch ihre Sorgen anvertrauen kann. Bei Gott hat ihre Seele Halt gefunden.
„Glaube? Sie sind doch sonst so intelligent!“
George ist keine, die mit ihrer Geschichte hausieren geht. Ganz im Gegenteil. Sie hat Respekt davor, dass sie von manchen nicht ganz ernst- und als naiv wahrgenommen wird. Als sie ihre Beweggründe für den Glauben einmal in einem Essay für die Tageszeitung Die Welt aufgeschrieben hat, bekam sie einen Leserbrief mit dem Grundtenor: Schade, Sie waren doch sonst so intelligent. „Daran hatte ich zu knapsen. Ich wollte ja nicht als naiv gelten“, bekennt sie. Wenn sie ihren Glauben beschreibt, sagt sie über sich, dass sie Gott spürt, erfährt und ihm vertraut. In den Gottesdiensten kann sie zur Ruhe kommen und Kraft finden. Aber auch auf langen Autofahrten hält sie gerne an Autobahnkirchen, um innezuhalten. Gott stellt sie sich als jemanden vor, „der mir seine Hand reicht und nicht gekränkt ist, wenn ich sie nicht sofort nehme“.
Die Journalistin hat sich in einem Brief Gott anvertraut. Sie ist sich sicher, dass Gott sehnsüchtig auf sie gewartet und mit ihr gelitten hat: „Ich muss bei Gott nicht alles können. Das hat mir eine große Last genommen.“ Fragen zum Glauben hat George noch viele. Als nächstes möchte sie das Buch „Bibel für Neugierige“ lesen. Und irgendwann die Bibel selbst: „Ich habe noch Respekt davor, dass ich manche Dinge nicht verstehe.“ Beeindruckt ist sie, wie gut viele Bibelverse in die heutige Zeit passen. Mehr auf Gott als auf die Menschen zu hören, sei eine wertvolle Richtschnur für menschliche Beziehungen. Für George hat sich ihr Schritt gelohnt: „Meine positiven Erfahrungen mit Kirche und Glaube überwiegen denjenigen, die mich von der Kirche ferngehalten haben.“
Carolin George: „Und dann kam Gott. Warum ich Glaube nie brauchte – und mich mit 42 konfirmieren ließ“, Brunnen, 192 Seiten, 17 Euro.
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Eine Antwort
ich freue mich über jede jeden der da glaubt GOTT ist LIEBE