Das Konzept ist einfach und gut. 22 Menschen schreiben darüber, was ihnen ihr christlicher Glaube bedeutet. Es sind sehr persönliche Texte von Christen aus vielen Altersgruppen und Milieus. In dem Buch „Warum heute Christ*in sein“, geben sie ihre Antworten und schreiben darüber, was sie geprägt hat. Entstanden ist ein wertvolles Buch, das zum Nachdenken anregt.
Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann beschreibt ihre Prägungen anhand ihres Lebens. Sie habe zuhause gelernt, klare Kritik zu üben. Dort und später an der Universität sei es ihr immer wichtig gewesen, Glaube und Verstand zusammen zu denken. Glaube müsse Fragen zulassen. Angst hat sie allerdings davor, dass die Menschen nicht mehr Geborgenheit einer Glaubensgemeinschaft erleben.
Eine wichtige katholische Stimme in dem Buch ist der Journalist Heribert Prantl. Für ihn hält der Glaube den Himmel offen. Nicht nur in dem Buch kritisiert er die Kirche massiv für ihre Haltung zum Missbrauchsskandal und der Ausgrenzung der Frau. Austreten ist trotzdem keine Option für ihn, weil er Kritik von innen sinnvoller hält als von außen. Der Gesellschaft würden ohne die Kirche Räume der Stille und des Innehaltens fehlen und Orte, an denen Gnade ihren Platz hat.
EKD-Präses: Die Kirche hat mir Freiräume gegeben
Viele Protagonisten sind in die Kirche hinein gewachsen und dann dabei geblieben. Eine von ihnen ist die EKD-Präses Anna Nicole-Heinrich. Die junge Frau hat es genossen, dass Kirche ihr Räume geboten hat, in denen sie sich ausprobieren durfte. Das präge bis heute ihr Verständnis von Kirche. Gerade in Zeiten, in denen sie überfordert sei, freue sie sich über einen Gott, der ihr Halt gibt.
Auch Wolfgang Thierse ist eine prominente Stimme, die in dem Buch nicht fehlen darf. Als Katholik in der DDR sei es nie selbstverständlich gewesen, Christ zu sein. In seiner Berliner Gemeinde habe er es immer als besonders empfunden, wenn die Gemeinde nicht unter sich blieb. Der Leser merkt förmlich, wie sehr sich der SPD-Politiker darüber freut, welche wichtige Rolle die Christen beim Fall der Mauer gespielt haben. Eine Gesellschaft ohne Gott zu denken, bereitet ihm Sorgen.
Es sind die vielfältigen Schlaglichter, die das Buch so spannend machen. Für den Moderator und Arzt Eckart von Hirschhausen ist das Alleinstellungsmerkmal der Kirche, dass ihre Anhänger um das Wohin und das Wozu wissen und deswegen Lust auf Zukunft haben. Der Grünen-Politiker Winfried Kretschmann bringt zum Ausdruck, wie sehr ihm das Verwurzeltsein im Glauben Stärke gibt. Er fürchtet sich nicht vor einer kleiner werdenden Kirche, so denn ihre Mitglieder öffentlich für die Werte des Evangeliums eintreten.
Wenn der Nachbar mit in den Kindergottesdienst nimmt
Aber es sind nicht nur die Promis, die das Buch wertvoll machen. Manch anderer beschreibt, wie wichtig es war, von seinem Freund oder Nachbarn mit in den Kindergottesdienst genommen zu werden. Andere waren sich nach ersten Berührungspunkten unsicher, ob sie Christ bleiben wollen, weil sie vieles an Kirche und ihrer Entwicklung kritisieren. Für viele ist es aber auch Freiheit, die ihnen der Glaube gibt oder die Gewissheit, das Leben zu bewältigen, weil sie Gott an ihrer Seite wissen.
Sie beschreiben, wie wichtig ihnen die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen ist und wie diese ihnen durch Glaubenskrisen geholfen haben. Aus der Kirche auszutreten ist für sie keine Option, weil es „woanders auch nicht besser ist“. Der wertvollste Satz des Buches stammt von der Wissenschaftlerin Gudrun Litz. Für sie ist es, die „unbegrenzte Vergebungsbereitschaft Gottes, die mich auch dann gütig annimmt und durch trägt, wo ich alles schuldig bleibe“. Eine Stärke des Buches ist auch, dass es nicht nur langjährige Christen im Blick hat, sondern mit den Lebensbildern auch diejenigen abholt, die sich neu für den christlichen Glauben interessieren.
Elisabeth Zoll/Thomas Seiterich (Hrsg.), „Warum heute Christ*in sein – 22 Antworten“, Hirzel Verlag, ISBN: 9783777635767, 22 Euro.