Lausanner Bewegung: 5.000 Christen aus aller Welt sprechen über Mission

In Seoul läuft derzeit die vierte Konferenz der Lausanner Bewegung, die in diesem Jahr fünfzig Jahre alt wird. Im Zentrum steht diesmal kein gemeinsames Dokument, sondern die weltweite Zusammenarbeit der Kirche. Ein Statement gibt es trotzdem.
Von Nicolai Franz

„Crescendo“ ist eine starke Untertreibung für das, was dieser südkoreanische Chor samt Orchester da gerade aufführt. „How Great Thou Art“, so etwas wie die inoffizielle Hymne der Lausanner Bewegung, schallt da von der Bühne. Die tausenden Konferenzteilnehmer aus aller Welt singen lauthals mit. Kaum denkt man, nun komme der Schlussakkord, setzen die Musiker noch einen drauf, steigern sich, modulieren, bis das Stück dann doch in das große Finale mündet. Ein Willkommensgruß an die internationalen Gäste. Und vielleicht auch ein Beweis dafür, dass Südkorea in Sachen Christentum alles andere als ein Entwicklungsland ist, sondern sogar den Ton angeben kann.

Einer von ihnen ist Michael Oh. Der Südkoreaner leitet seit Jahren die Lausanner Bewegung. Heute begrüßt er die Gäste in „Hanbok“, der traditionellen koreanischen Tracht. Der Kongress steht unter dem Motto „Let the Church Declare and Display Christ Together“ („Möge die Kirche gemeinsam Christus verkünden und verkörpern“). Die Lausanner Bewegung hat sich seit ihrer Gründung 1974 zum Ziel gesetzt, dass „die ganze Kirche das ganze Evangelium der ganzen Welt“ bringen soll.

Etwa 5.000 Menschen aus mehr als 200 Ländern sind nach Veranstalterangaben nach Incheon bei Seoul gekommen, um über Mission zu sprechen. Sie sind keine Sammlung von Bischöfen oder sonstigen Kirchenleitern, die aufgrund ihres Amtes automatisch als Delegierte dabei sind. Stattdessen setzt Lausanne auf sein – eher loses – Netzwerk: Ehemalige Teilnehmer und andere konnten potenzielle Teilnehmer nominieren, die sich wiederum mit einer Empfehlung weiterer Christen bewarben.

Foto: Lausanne Movement
Lausanne-Chef Michael Oh sprach in traditionell koreanischer Tracht

Ziel des Kongresses ist nicht, gemeinsam eine Erklärung zu erarbeiten, um den globalen Missionskurs der nächsten Jahre festzulegen. Lausanne will hingegen vor allem vernetzen und die Zusammenarbeit Gleichgesinnter über Ländergrenzen hinweg fördern. Sie sollen damit die „Gaps“, also „Lücken“ der Mission füllen, die Lausanne zuvor identifiziert hatte. Damit sind Bereiche gemeint, die eine Herausforderung für die Mission sind. Unter den 25 Gaps finden sich Themen wie „Die nächste Generation“, „Islam“, „Säkularisierung“ oder „Ethnizismus und Rassismus“.

„Seoul Statement“ veröffentlicht

Allerdings haben die Verantwortlichen nach dem „Lausanne Covenant“ („Lausanner Verpflichtung“, 1974), dem „Manila Manifest“ („Manifest von Manila“, 1989) und dem „Capetown Commitment“ („Kapstadt-Verpflichtung“, 2010) schon zu Beginn des Kongresses das „Seoul Statement“ veröffentlicht. Damit wollen sie nicht nur ihrem Hang zu Alliterationen treu bleiben, sondern auch ihrer Theologie: Das Dokument sei keineswegs ein umfassender Entwurf von Missionstheologie, sondern baue auf den vorigen drei Erklärungen auf, sagte Konferenzleiter David Bennett vor der Presse.

Es ist demnach eher als Ergänzung zu verstehen, weil es auf manche Fragen noch keine Antworten gegeben hatte. In einem mehrjährigen Prozess hatte die Lausanner Bewegung weltweit gefragt, in welchen Themen es offene Fragen gebe. Die gab es zum Beispiel beim Umgang mit der Bibel. Zwar hatte sich Lausanne immer dazu bekannt, dass die Bibel „der einzige unfehlbare Maßstab des Glaubens und Lebens“ ist. Trotzdem sei es immer wieder zu „widersprüchlichen Interpretationen“ gekommen, die die Fähigkeit der Kirche gefährdeten, „Zeugnis für die Herrlichkeit Gottes und die Wahrheit des Evangeliums abzulegen“. Es sei eben auch wichtig, wie die Bibel gelesen wird – statt ihr nur eine hohe Autorität beizumessen. 

Das „Seoul Statement“ wirbt daher für eine Lesart der Bibel, die ihre „historische, literarische und kanonischen Kontexte beachtet, erleuchtet durch den Heiligen Geist und orientiert an der Auslegungstradition der Kirche“. Anders als etwa die Lausanner Verpflichtung ist das „Seoul Statement“ keine gemeinsame Abschlusserklärung, zu dem sich die Teilnehmer bekennen, sondern eine Wortmeldung der Leitung der Lausanner Bewegung.

Das „Seoul Statement“ ist auch als Ergänzung zu dem 500-seitigen „Statement of the Great Commission Report“ (SOGCR) zu verstehen, das auf einem ähnlichen Prozess des Hinhörens entstanden sei. Die „Great Commission“ ist der Missionsauftrag Jesu aus Matthäus 28. An dem Dokument hatte es im Vorfeld Kritik von der „International Fellowship of Evangelical Mission Theologians“ (INFEMIT) gegeben. Sie war selbst im Zuge des Lausanner Kongresses 1974 entstanden und zählt zum eher progressiven, linken Flügel des Evangelikalismus. INFEMIT vermisste „missionale Demut“ im SOGCR.

Lausanne erwecke den Eindruck, als müsse man nur die richtigen Strategien und Marketing-Techniken anwenden, um irgendwann die ganze Welt mit dem Evangelium erreicht zu haben. Nicht durch menschliche Anstrengungen würde der Missionsauftrag Jesu verwirklicht, sondern dieser „handelt davon, treu Zeugnis darüber abzulegen, was Gott im Namen Christi und durch die Kraft des Heiligen Geistes tut und tun wird, im Vertrauen darauf, dass Gott bis zum Ende der Zeiten bei uns ist.“ Zudem warb INFEMIT für „integrale Mission“, das eigentlich ein Kernanliegen der Lausanner Bewegung ist. Der Begriff bedeutet, dass christliches soziales Engagement und Evangelisation nicht gegeneinander ausgespielt werden sollen, beide seien gleichberechtigte Bestandteile von Mission.

Zu „eurozentrisch“?

Zumindest was die mögliche Überbetonung menschlicher Fähigkeiten anging, konnte man einige Vorträge am Montagmorgen als Antwort darauf verstehen. Der nigerianische Theologe Femi Adelye, der zum Führungszirkel von Lausanne gehört, warb in seinem Vortrag eindringlich für das Vertrauen in den Heiligen Geist: „Die, die entgegen der nachgewiesenen Evidenz behaupten, dass die Ära der Demonstration der Gegenwart und der Kraft des Heiligen Geistes inklusive Wunder vorbei sind, haben sich gründlich geirrt!“

Mission sei nicht möglich ohne „die volle Überzeugung und Bekräftigung der Rolle des Heiligen Geistes“. In die gleiche Kerbe schlug Kwabena Asamoah Gyadu, methodistischer Pastor und Professor aus Ghana. Das Christentum in Afrika ist, anders als in der westlichen Welt, auf dem Vormarsch, was Gyadu auf das Wirken des Heiligen Geistes zurückführt. Der Aufstieg des „geist-befähigten Christentums“ in Afrika stehe im Gegensatz zu „historischen westlichen Missionskirchen und ihren geordneten und zerebralen Formen der Ekklesiologie“, also der Kirchenlehre. Der Theologe machte klar, dass Afrika sich vom Westen emanzipiert hat – und dass es eben nicht menschliche „geordnete“ Überlegungen waren, die zum Wachstum der Kirche in Afrika geführt habe. Sondern der Heilige Geist.

Auch Jay Matenga, Direktor der Missionskommission der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), hatte seine Anfragen an die Lausanne-Konferenz in Seoul, kurz „L4“. Er selbst hat europäische und Maori-Wurzeln und kritisierte am SOGCR eine zu eurozentrische Sicht auf Mission. Die Probleme der Mission in 25 Gaps zusammenzufassen, wirke wie eine Universal-Lösung für die weltweite Mission und würden die regionalen Kontexte ignorieren.

Allerdings konnten die Teilnehmer im Vorfeld von L4 wählen, bei welchem Gap sie mitdenken und -arbeiten wollten. Zum Abschluss des Kongresses sollen die Ergebnisse in die regionalen Kontexte übersetzt werden. Zudem stammen die 150 Autoren des SOGCR zu 35 Prozent aus dem globalen Westen, 40 Prozent aus dem Süden und 25 Prozent aus dem Osten, wobei 40 Prozent Frauen und 60 Prozent Männer waren – die Diagnose einer „eurozentrischen“ Sicht passt also zumindest nicht zu den Urhebern.

Die Lausanne-Konferenz in Seoul geht noch bis zum 28. September. Nach Veranstalterangaben sind 5.000 Teilnehmer aus 202 Ländern vor Ort, dazu kommen noch Tausende, die die Veranstaltung im Livestream verfolgen. PRO berichtet von vor Ort.

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